[E-rundbrief] Info 149 - RB Nr. 114 - EU-Kommission und -Verfassung in schlechter Verfassung
Matthias Reichl
mareichl at ping.at
Sa Okt 30 12:06:48 CEST 2004
E-Rundbrief - Info 149 - RB Nr. 114 - Matthiass Reichl/ Attac Österreich:
EU-Kommission in schlechter Verfassung; Werkstatt Frieden & Solidarität
Linz: EU-Verfassung in schlechter Verfassung
Bad Ischl, 30.10.2004
Begegnungszentrum für aktive Gewaltlosigkeit
www.begegnungszentrum.at
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EU-Kommission in schlechter Verfassung
Der Rückzieher des EU-Komissionspräsidenten Barroso sollte wohl eine
Notbremse sein. Zu sichtbar war die unheilige Allianz alter
(christlich-reaktionärer) Machtpolitik vom Typ des Italieners Buttiglione
und der neoliberal orientierten "neuen Garde". Dass solche - scheinbar
ideologisch widersprüchlichen - Seilschaften taktisch geschickt gemeinsam
agieren können, zeigt sich (nicht nur) im US-Regierungskartell und an den
in ihrem Schatten agierenden Lobbyisten. Ähnliches wurde schon seit
längerem auch auf EU-Ebene sichtbar.
In Ergänzung zur Presseaussendung von Attac Österreich (siehe unten) müssen
noch der ungarische Sozialdemokrat Kovacs als inkompetenter Kommissar für
Energie (mit Kontakten zur Atomlobby) und andere Kommissare mit
umweltrelevanten Agenden kritisch unter die Lupe genommen werden.
Matthias Reichl
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Attac kritisiert enge Verbindungen wichtiger nominierter KommissarInnen mit
europäischer Großindustrie
Wenn das Europaparlament den Kommissionsvorschlags Barrosos ablehnt, wäre
das eine Chance zur Neubesetzung dieser demokratisch so wichtigen Runde mit
ExpertInnen anstatt mit LobbyistInnen. Um Europa bis 2010 zur
wettbewerbsfähigsten Region der Welt zu machen, sind sechs
Wirtschafts-Kommissare angetreten. "Die biographischen Steckbriefe der Crew
lesen sich wie ein Who is Who eines Management-Magazins. Mit der
Nominierung dieser Kommission setzt man ein deutliches Signal für ein
"Corporate Europa", dass wie eine Aktiengesellschaft gemanagt werden soll,
wo gesamtwirtschaftliche, soziale und ökologische Aspekte bestenfalls
zweitrangig sind, kritisiert die stellv. Attac-Obfrau Cornelia Staritz .
"Barrosos Team glaubt an Wettbewerbsorientierung, Liberalisierung und
Deregulierung, undifferenziertes Wachstum, Abbau von
Binnenmarkt-Hindernissen und eine restriktive Zins- und Budgetpolitik -
lauter neoliberale Rezepte, die sich schon bisher nicht bewährt haben", so
Staritz.
Wettbewerbs-Kommissarin Neelie Kroes Die Wirtschaftswissenschaftlerin und
Mitglied der konservativ-liberalen niederländischen VVD gilt als die neue
starke Frau in Brüssel. Die Ex-Managerin war in zwölf Aufsichtsräten, u.a.
von Mc Donalds, dem IT-Unternehmen Lucent Technology,
dem Mobilfunkbetreiber MMO2 oder Volvo. Unlängst wurde auch bekannt, dass
sie für die US-amerikanische Rüstungsfirma Lockheed tätig war.
"Nickel-Neelie" (in Anspielung auf Großbritanniens "Eiserne" Lady ) nennt
man die ehemalige Verkehrsministerin, weil sie eine radikale Befürworterin
der Privatisierung von Staatsbetrieben ist. (Sie zeichnete für die
Privatisierung der Niederländischen Post und Telekom verantwortlich.) Ihre
Konzernvergangenheit erregte bei den Hearings zum Europarlament ernsthafte
Besorgnis. In Reaktion darauf legte sie alle Funktionen in der
Privatwirtschaft zurück und lässt ihr Privatvermögen (1, 6 Millionen Euro
)von unabhängigen Experten verwalten. Viele sehen ihre bisherige
Berufstätigkeit für unvereinbar mit ihren neuen Aufgaben: Firmenfusionen zu
überwachen und Strafen bei Verstößen gegen das Wettbewerbsgesetz zu
verhängen. Ihr "Insiderwissen" stellt nicht, wie Jose Manuel Barroso
meinte, eine Schlüsselkompetenz für dieses Ressort dar, sondern ein
zentrales Hindernis für unabhängiges und entschiedenes Eingreifen.
Kommissarin für Steuern und Zoll Ingrid Udre Ingrid "Business is Free" Udre
spricht sich klar für den schädlichen Steuerwettbewerb als ein Instrument
zur Standortpflege in Europa aus. Sie will sich nur für eine einheitliche
Bemessungsgrundlage der Körperschaftssteuer einsetzen. Allerdings ereilt
die Lettin in Brüssel der zweifelhafte Ruf ihrer Heimat, wo sie in einem
Parteispendenskandal verwickelt gewesen sein soll. Die Fragen der
Süddeutschen Zeitung zu den Bestechungsgeldvorwürfen als
Wirtschaftsministerin bleiben unerwidert. Zu den Aufgaben der
Steuer-Kommissarin zählt auch die Betrugsbekämpfung - eine SchelmIn, wer
dabei Böses denkt.
Binnemarkt-Kommissar Charlie McCreevy Charlie "I believe in Markets"
McCreevy macht die Umsetzung der Richtlinie (seines Vorgängers Frits
Bolkestein) zur Liberalisierung der Dienstleistungsmärkte zu seinem
persönlichen Anliegen. Der liberale irische Ex-Finanzminister will die
"Gestaltung" der Wirtschaft durch Regulierung vermeiden. Im
Herkunftslandprinzip sieht er ein Instrument zur Vollendung des
Binnenmarkts. Der "keltische Tiger" hat Irland zu einem Steuerparadies für
Unternehmen gemacht, lehnt jede Form der Steuerharmonisierung ab und setzt
sich für weniger Ausgaben der öffentlichen Hand ein.
Industrie-Kommissar Günter Verheugen Verheugen hat in seinen Antrittsworten
klargestellt, dass erst das Wachstum komme, dann der Umweltschutz. "Am
Industriefreund alter Prägung dürfte vorbeigegangen sein, dass sowohl
Wirtschaftswachstum Umwelt zerstören und Wohlstand verringern kann als auch
umgekehrt umweltschonendes Wirtschaften zu höherer Wertschöpfung führen
kann", so Staritz. Besonders beängstigend sind erste Andeutungen, dass er
die EU-Chemikalienrichtlinie REACH wieder aufschnüren und stärker auf die
Interessen der Chemieindustrie zuschneiden möchte.
Handels-Kommissar Peter Mandelson Der Fernsehjournalist gilt als Ahnherr
der medienorientierten Auftritte der "New Labour" Blairs. Mit der Berufung
nach Brüssel nimmt er den dritten Anlauf, längere Zeit in einem politischen
Amt zu verbleiben. Als Wirtschaftsminister holte er sich für seine
wettbewerbsfreundliches Gesetzte viel Lob von der Wirtschaft, scheiterte
aber an dem großzügigen Privatkredit eines Kabinettskollegen (in Höhe von
540.580,- EUR). Auch seine Amtszeit als Nord-Irland Minister musste er
wegen Freunderlwirtschaft früher beenden. "Mandelson glaubt nicht nur
undifferenziert und entgegen jeder Empirie an Arbeitsplatzschaffung und
Armutsverringerung durch Freihandel, er umgibt sich auch mit ehemaligen
Agrar- und Pharmalobbyisten wie Roger Liddle. Eine Team aus
freihandelskritischen ÖkonomInnen und entwicklungspolitischen ExpertInnen
wäre besser", so Staritz abschließend.
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EU-Verfassung in schlechter Verfassung
Die Teilnehmer der Aktions- und Informationskonferenz "Europa in schlechter
Verfassung" in der Arbeiterkammer Linz, veranstaltet von Attac Österreich,
dem Friedensvolksbegehren, LehrerInnen für den Frieden und der OÖ Plattform
gegen Atomgefahr am 11.9.2004 haben folgende Schlusserklärung verabschiedet:
Schlusserklärung der Konferenz vom 11.9.2004:
Der nun zur Ratifizierung in den EU-Mitgliedsstaaten anstehende "Vertrag
für eine Verfassung für Europa" enthält eine Aufrüstungs- und eine
Beistandsverpflichtung und steht damit in offenem Widerspruch zur
Neutralität; schreibt den EURATOM-Vertrag fest; hebt Liberalisierung und
Privatisierung in Verfassungsrang und forciert damit den Sozialabbau;
schreibt die Demokratiedefizite in der EU fort; lässt die zahlreichen
sozialen, demokratischen, feministischen, antirassistischen, ökologischen
und friedlichen Alternativen für die EU unberücksichtigt; schreibt die
fremdenfeindliche Politik der EU fort, insbesondere mit der Einschränkung
der Mobilität von MigrantInnen; wird mittlerweile schon in mehr als 10
Ländern einer Volksabstimmung unterzogen, während dieses Recht den Menschen
in Österreich nach wie vor verweigert wird.
Die TeilnehmerInnen der Konferenz "Europa in schlechter Verfassung" vom 11.
September 2004 sind davon überzeugt, dass dieser Verfassungsvertrag nicht
den Interessen und Haltungen der Mehrheit der Menschen in Österreich
entspricht. Die TeilnehmerInnen wollen ein soziales, weltoffenes und
demokratisches Österreich. Diese Mehrheit muss auch das Recht haben, den
vorliegenden Entwurf für eine EU-Verfassung zurückzuweisen. Die Verfassung
geht uns alle an deshalb fordern die TeilnehmerInnen eine Volksabstimmung!
Die TeilnehmerInnen der Konferenz wollen der Öffentlichkeit die Gründe
aufzeigen, warum eine Ratifizierung der "Verfassung für Europa" abzulehnen
ist. Sie wollen in der Woche vor der Unterzeichnung des
Verfassungsvertrages durch die EU-Staats- und Regierungschefs am 29.
Oktober 2004 in Rom in ganz Österreich eine Aktionswoche durchführen.
Umfassende und kritische Informationen zu den komplexen Problemen der
EU-Verfassung hat Gerald Oberansmayr in seinem Buch "Auf dem Weg zur
Supermacht" zusammengestellt. Es ist damit eine unverzichtbare Grundlage
zum obigen Aufruf und zum Friedensvolksbegehren.
Gerald Oberansmayr: Auf dem Weg zur Supermacht. Die Militarisierung der
Europäischen Union. 2004 Promedia Verlagsges. 9,90
Am 29. 10. organisierte die Werkstatt Frieden & Solidarität in Linz eine
Probeabstimmung zur EU-Verfassung unter dem Motto: "EU-Militärverfassung
oder Neutralität!" Ihr Aufruf ´dazu:
Am 29. Oktober 2004 haben die EU-Staats- und Regierungschefs in Rom
"feierlich" die EU-Verfassung unterzeichnet. Doch damit ist die Sache nicht
entschieden, denn die Verfassung muss noch in allen EU-Staaten ratifiziert
werden. In Österreich wollen weder die Regierung noch die Spitzen der
Oppositionsparteien die Bevölkerung über diese einschneidende Verfassung
entscheiden lassen. Dafür gibt es zwei Gründe:
1) Die Führungen aller vier Parlamentsparteien sind sich einig in der
Unterstützung der Inhalte der EU-Verfassung
2) Sie fürchten, dass diese Inhalte im Zuge einer Volksabstimmungskampagne
vor der Bevölkerung nicht mehr länger verheimlicht werden können. Denn
diese Verfassung ist in mehrerlei Hinsicht einzigartig: Die vorgeschlagene
EU-Verfassung beinhaltet...
... eine Aufrüstungsverpflichtung. Im Artikel I-41 heißt es: "Die
Mitgliedstaaten verpflichten sich, ihre militärischen Fähigkeiten
schrittweise zu verbessern." (Art. I-41, 3). Damit stehen
Abrüstungsbefür-worter außerhalb der Verfassung.
... ein eigenes Rüstungsamt ("Agentur für die Bereiche Entwicklung der
Verteidigungsfähigkeit, Forschung, Beschaffung und Rüstung"), das die
Aufrüstung der EU-Staaten kontrollieren und ankurbeln soll (Art. I-43, 3)
... die Selbstmandatierung des EU-Ministerrat für weltweite Kriegseinsätze
(Art. I-41, Art. III-307)
... eine militärische Beistandsverpflichtung, die schärfer ist als die der
NATO (Art. I-41,7)
... einen Anhang, in dem der EURATOM-Vertrag bekräftigt wird, der Förderung
der Atomenergie vorsieht.
... die Verpflichtung zu einer neoliberalen Wirtschaftspolitik: "Die
Tätigkeit der Mitgliedstaaten und der Union umfasst .... die Einführung
einer Wirtschaftspolitik, die... dem Grundsatz einer offenen
Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb verpflichtet ist." (III-177)
... einen Hebel zur weiteren Liberalisierung und Privatisierung
öffentlicher Dienste im Sozial-, Bildungs- und Gesundheitsbereich. In
Zukunft soll über "Kompetenz "Grundsätze und Bedingungen, insbesondere jene
wirtschaftlicher und finanzieller Art" öffentlicher Dienste der
EU-Minsterrat per Mehrheitsentscheidung beschließen können (Art. III-122).
... die Veränderung der Stimmgewichte in den EU-Räten zugunsten der großen
Staaten und zu Lasten der kleineren und mittleren: so steigen die
Stimmgewichte Deutschlands um über 100%, die Frankreichs und
Großbritanniens um 45%; andererseits verlieren Österreich, Schweden,
Portugal, Griechenland, Belgien, Tschechien, Ungarn, Dänemark, Slowakei,
Finnland, Irland zwischen 35% und 65% an Stimmgewichten.
Um Druck für eine Volksabstimmung über die EU-Verfassung zu machen, wird
die Werkstatt Frieden & Solidarität am Freitag, 29.10.2004 am Linzer
Taubenmarkt eine Probeabstimmung über die EU-Verfassung durchzuführen.
Motto: EU-Militärverfassung oder Neutralität!
Petition für eine Volksabstimmung!
Um in Österreich Druck für eine Volksabstimmung machen haben die Werkstatt
Frieden & Solidarität und der Österreichischen Friedensrat die Petition
"Für eine Volksabstimmung über die EU-Verfassung", gestartet. Diese kann
auf Web-Page www.friwe.at downgeloadet oder in der Werkstatt bestellt
werden: mailto: friwe at servus.at
Nähere Informationen über die Inhalte der EU-Verfassung auf www.friwe.at
bzw. in der Broschüre
"EU-Verfassung - Europa der Konzerne und Generäle"
Die EU-Verfassung aus der Sicht von Friedens-, Anti-Atom- und
globalisierungskritischer Bewegung
2. Auflage, mit Beilageblatt zu den Änderungen des EU-Gipfels, 17./18. Juni
2004.
EUR 3,50 (exkl. Porto) in der Friedenswerkstatt Linz bestellt werden.
Werkstatt Frieden & Solidarität Linz, Waltherstr. 15b, 4020 Linz, Tel.
0732/771094, email: friwe at servus.at;
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