[E-rundbrief] Info 135 - Arundhati Roy: Die Macht der Zivilgesellschaft in einer imperialen Zeit
Matthias Reichl
mareichl at ping.at
Sa Sep 25 18:57:39 CEST 2004
E-Rundbrief - Info 135 - Arundhati Roy (Indien): Die Macht der
Zivilgesellschaft in einer imperialen Zeit
Bad Ischl, 25.9.2004
Begegnungszentrum für aktive Gewaltlosigkeit
www.begegnungszentrum.at
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Die Macht der Zivilgesellschaft in einer imperialen Zeit
Von Arundhati Roy
Democracy Now! / ZNet 24.08.2004
Vollständige Transkription der von Arundhati Roy am 16. August 2004 in San
Francisco, Kalifornien, gehaltenen Rede.
Ich bin gebeten worden über die "Macht der Zivilgesellschaft in einer
imperialen Zeit" zu sprechen. Ich bin es nicht gewohnt zu tun was mir
aufgetragen wird, aber durch einen glücklichen Zufall ist das genau das
Thema über welches ich heute Abend sprechen wollte.
Wenn die Sprache verstümmelt und ihrer Bedeutung beraubt worden ist, was
können wir dann unter "Macht der Zivilgesellschaft" verstehen? Wenn
Freiheit Besatzung, wenn Demokratie neoliberalen Kapitalismus, wenn Reform
Unterdrückung, wenn Worte wie "Bevollmächtigung" und "Friedenserhaltung"
einem einen kalten Schauer über den Rücken jagen - dann kann die Bedeutung
von "public Power" beliebig ausgesucht werden. Ein Bizepstrainingsgerät,
eine öffentliche Powerdusche. Also werde ich "Macht der Zivilgesellschaft"
eben zu definieren haben.
In Indien ist Public jetzt ein Hindi-Wort. Es bezeichnet das Volk. In Hindi
haben wir sarkar und public, den Staat und die Menschen. Dieser Wortwahl
liegt die Annahme zu Grunde, daß der Staat etwas ganz anderes als "das
Volk" ist. Diese Unterscheidung hat mit der Tatsache zu tun, daß Indiens
Freiheitskampf, obwohl er großartig war, auf keinste Weise revolutionär
war. Die indische Elite trat problemlos und elegant in die Fußstapfen der
britischen Imperialisten. Eine zutiefst verarmte, eigentlich feudale,
Gesellschaft wurde zu einem modernen unabhängigen Nationalstaat. Auch heute
noch, fünfzig Jahre danach, betrachten die wirklich Verlorenen den Staat
als Mai-Baap, als elterlichen Fürsorger. Die etwas radikaleren, jene die
noch immer Feuer im Bauch haben, bezeichnen ihn mit Chor, den Dieb, jemand
der alles an sich reißt.
In jedem Fall ist Sarkar für die meisten InderInnen etwas anderes als das
Volk. Aber sobald man auf der indischen sozialen Leiter emporkommt,
verschwimmt die Unterscheidung zwischen dem Sarkar und dem Volk. Der
indischen Elite fällt es, wie allen anderen Eliten auf dieser Welt, sehr
schwer sich vom Staat zu unterscheiden. Sie sieht wie der Staat, sie denkt
wie der Staat, sie spricht wie der Staat.
In den Vereinigten Staaten ist die Verwischung der Grenzen zwischen Sarkar
und Volk viel gründlicher geschehen und in tiefere Schichten der
Gesellschaft gedrungen. Das könnte ein Zeichen für eine robuste Demokratie
sein, aber leider ist es etwas komplizierter und unerfreulicher als das.
Unter anderem hat es mit dem fein ausgearbeiteten Netz der Paranoia zu tun,
welches der US-Sarkar, die Massenmedien der Konzerne und Hollywood
gesponnen haben. Gewöhnliche AmerikanerInnen sind so manipuliert worden,
daß sie sich für ein Volk im Belagerungszustand halten, deren einzige
Rettung und deren einziger Beschützer ihre Regierung ist. Wenn es nicht die
Kommunisten sind, ist es al-Kaida. Wenn es nicht Kuba ist, ist es Nicaragua.
Als Konsequenz wird diese mächtigste Nation der Welt - mit ihrem
konkurrenzlosen Waffenarsenal, ihrer historischen Bereitschaft, endlose
Kriege zu führen und zu unterstützen, und diese einzige Nation, welche
jemals wirklich Atombomben benutzt hat - von einer von Angst gepeinigten
Bürgerschaft bewohnt, welche aufspringt, wenn ein Schatten vorbeihuscht.
Einem Volk, welches nicht durch soziale Dienste, oder öffentliche
Gesundheitsversorgung, oder Arbeitsgarantien an den Staat gebunden ist,
sondern durch Furcht.
Diese synthetisch hergestellte Furcht wird dazu benutzt, öffentliche
Duldung für weitere Akte der Aggression zu erhalten. Und so geht es weiter,
so baut man einen Turm von sich selbst erfüllenden Hysterien, welche nun
ganz formell durch die verblüffenden, in technicolor gehaltenen,
Terroralarmstufen der US-Regierung feinabgestimmt werden: Fuchsia, Türkis,
Lachsrosa.
Für Beobachter von außerhalb macht es diese Verschmelzung von Sarkar und
Zivilgesellschaft in den Vereinigten Staaten oft schwer, die Taten der US-
Regierung von jenen des amerikanischen Volkes zu unterscheiden. Es ist
diese Verwirrung, welche den Antiamerikanismus auf der Welt anflammt.
Antiamerikanismus wird dann von der US-Regierung aufgegriffen und mithilfe
ihrer getreuen Medien ausgestrahlt. Sie kennen die Routine: "Warum hassen
sie uns? Sie hassen unsere Freiheit"
usw.
usw. Dies verstärkt das
Gefühl der Isolation unter den AmerikanerInnen und macht die Umarmung von
Sarkar und Gesellschaft sogar noch enger. Wie das kleine Rotkäppchen, das
zum Kuscheln zum Wolf ins Bett springt.
Die Bedrohung eines äußeren Feindes dafür zu gebrauchen, ein Volk für seine
Zwecke aufmarschieren zu lassen, ist ein lahmer alter Gaul, auf welchem
Politiker seit Jahrhunderten in die Macht geritten sind. Aber könnte es
sein, daß die einfachen Menschen diesen alten Gaul satt haben und sich nach
etwas anderem sehnen? Es gibt ein altes indisches Filmlied, das geht so:
yeh public hai, yeh sab jaanti hai (das Volk, es weiß alles). Wäre es nicht
schön, wenn dieses Lied recht hätte, und die PolitikerInnen falsch lägen?
Vor Washingtons illegaler Invasion des Iraks hat eine internationale
Gallup-Umfrage gezeigt, daß die Unterstützung für einen im Alleingang
durchgeführten Krieg in keinem einzigen europäischen Land mehr als 11
Prozent betrug. Am 15. Februar 2003 gingen nur wenige Wochen vor der
Invasion mehr als zehn Millionen Menschen auf verschiedenen Kontinenten
gegen den Krieg auf die Straße, auch in Nordamerika. Und doch zogen die
Regierungen vieler angeblich demokratischer Länder in den Krieg.
Die Frage ist: ist "Demokratie" noch demokratisch?
Sind demokratische Regierungen den Menschen, die sie gewählt haben, zur
Rechenschaft verpflichtet? Und, was besonders bedeutsam ist, ist das Volk
in demokratischen Ländern für die Taten ihres Sarkars verantwortlich?
Wenn man darüber nachdenkt, erkennt man, daß die Logik, welche dem Krieg
gegen den Terrorismus und jene welche dem Terrorismus zugrunde liegt, genau
die gleiche ist. Beide lassen gewöhnliche Menschen für die Taten ihres
Sarkars leiden. Al-Kaida nahm die Leben von Menschen in den Vereinigten
Staaten als Rache für Taten ihres Staates in Palästina, Saudi-Arabien, Irak
und Afghanistan. Die US-Regierung hat die Menschen in Afghanistan mit
tausenden [Toten] für die Taten der Taliban zahlen lassen, und die Menschen
im Irak mußten mit hunderttausenden [Toten] für die Taten Saddam Husseins
zahlen.
Der entscheidende Unterschied ist, daß niemand Al-Kaida, die Taliban oder
Saddam Hussein gewählt hat. Aber der Präsident der Vereinigten Staaten ist
gewählt worden (oder naja
wenn man das so nennen will).
Die Premierminister Italiens, Spaniens und Großbritanniens sind gewählt
worden. Könnte man dann argumentieren, daß die BürgerInnen dieser Länder
für die Taten ihrer Regierungen verantwortlicher sind als die Irakis es für
die Taten Saddam Husseins oder die AfghanInnen für jene der Taliban sind?
Wessen Gott entscheidet, was ein "gerechter Krieg" ist, und was nicht?
George Bush Senior hat einmal gesagt: "Ich werden mich niemals für die
Vereinigten Staaten entschuldigen. Es interessiert mich nicht, was die
Fakten sind." Wenn der Präsident des mächtigsten Landes auf dieser Welt
sich nicht darum kümmert was die Fakten sind, dann können wir zumindest
sicher sein, daß wir ins imperiale Zeitalter eingetreten sind.
Also was bedeutet die Macht der Zivilgesellschaft in einer
imperialistischen Zeit? Bedeutet sie überhaupt etwas? Existiert sie überhaupt?
In diesen angeblich demokratischen Zeiten behauptet das konventionelle
politische Denken, daß die Macht des Volkes sich in Wahlen ausdrückt. In
einer großen Zahl von Ländern werden dieses Jahr Stimmen abgegeben werden.
Die meisten (aber nicht alle) werden die Regierung bekommen, für welche sie
gestimmt haben. Aber werden sie jene Regierung bekommen, die sie haben wollen?
In Indien haben wir dieses Jahr die Hindu-NationalistInnnen aus dem Amt
gewählt. Aber auch als wir das feierten, war uns bewußt, daß bei
Atombomben, Neoliberalismus, Privatisierungen, Zensur, riesigen Dämmen -
bei jedem Thema außer unverhohlenem Hindu-Nationalismus, der Kongress und
die BJP keine größeren ideologischen Unterschiede aufwiesen. Wir wissen,
daß es das fünfzig Jahre alte Erbe der Kongresspartei ist, welches das Land
kulturell und politisch für die Rechtsextremen vorbereitet hat. Es war auch
die Kongresspartei, welche Indiens Märkte als erstes der Globalisierung
durch die Konzerne eröffnet hat.
In ihrer Wahlkampagne hat die Kongresspartei angedeutet, daß sie bereit
wäre einige Punkte ihrer früheren Wirtschaftspolitik zu überdenken.
Millionen von Indiens Ärmsten kamen in großer Stärke hervor, um in diesen
Wahlen ihre Stimme abzugeben. Das Spektakel der großen indischen Demokratie
ist live ausgestrahlt worden - die alten BäuerInnen, die Alten und
Schwachen, die verhüllten Frauen mit ihrem wunderschönen Silberschmuck,
welche auf Elefanten, Kamelen und Ochsenkarren wunderliche Reisen zu den
Wahlurnen unternahmen.
Im Widerspruch zu den Vorhersagen aller Experten und Umfrageinstituten
Indiens gewann der Kongress mehr Stimmen als irgendeine andere Partei. Die
kommunistischen Parteien Indiens gewannen einen größeren Anteil der Stimmen
als je zuvor. Indiens Arme haben klar gegen die "Wirtschaftsreformen" des
Neoliberalismus und gegen den heranwachsenden Faschismus gestimmt. Sobald
die Stimmen gezählt wurden, entließen die kommerziellen Medien jene [Armen
WählerInnen] wie schlecht bezahlte und überflüssige Personen auf einem
Drehort. Die Sender boten nun geteilte Bildschirme. Die eine Hälfte zeigte
von außen das Haus von Sonia Gandhi, die Führerin der Kongresspartei, als
die Koalitionsregierung zusammengefunden wurde.
Die andere Hälfte zeigte aufgeregte AktienhändlerInnen vor der Börse in
Bombay, welche bei dem Gedanken in Panik gerieten, daß die Kongresspartei
tatsächlich ihre Versprechen einhalten werde und das Mandat mit dem sie
gewählt worden war auch umsetzen würde. Wir sahen wie der Sensex-Index
hinauf, hinunter und seitwärts ging. Die Medien, deren eigenen öffentlich
gelisteten Aktien an Wert verloren berichteten über den Einsturz an der
Börse wie wenn Pakistan Interkontinentalraketen gegen Neu-Delhi abgefeuert
hätte.
Noch bevor die neue Regierung formell eingeschworen worden war, machten
führende PolitikerInnen der Kongresspartei beruhigende Bekanntmachungen für
die Investoren und die Medien; daß nämlich die Privatisierung der
öffentlichen Industrien weitergehen werde. Inzwischen hat die BJP, welche
jetzt in Opposition ist, zynisch und komisch, damit begonnen ausländische
Direktinvestitionen und die weitere Öffnung der indischen Märkte zu
kritisieren.
Das ist die unaufrichtige sich weiterentwickelnde Dialektik der
Wahldemokratien.
Was die Armen in Indien angeht: sobald sie ihre Stimmen bereitgestellt
haben, erwartet man von ihnen, daß sie wieder nach Hause abmarschieren. Die
Politik wird ohne sie gemacht.
Und die Wahlen in den USA?
Und wie sieht es mit den Wahlen in den USA aus? Haben die WählerInnen in
den USA eine echte Wahl?
Es ist wahr, daß wenn John Kerry Präsident wird, sich einige Öltycoons und
christliche Fundamentalisten im Weißen Haus ändern werden. Wenige werden
traurig darüber sein Dick Cheney, Donald Rumsfeld oder John Ashcroft
mitsamt ihrer unverhohlenen Gaunerei abtreten zu sehen. Aber was wirklich
bedenklich ist, ist daß auch in der neuen Verwaltung ihre Politik
weitergehen wird. Wir werden Bushismus ohne Bush haben.
Die Positionen mit echter Macht - die Vorsitzenden der Banken, die CEOs -
sind durch keine Wahl angreifbar (
und wer es auch wird, beide Seiten
werden von diesen finanziert)
Unglücklicherweise hat sich die Wichtigkeit der US-Wahlen zu einer Art
Persönlichkeitswettkampf verschlechtert. Eine Streiterei darüber, wer
besser darin wäre, dem Imperium vorzustehen. John Kerry glaubt genauso
stark an die Idee eines Imperiums wie George Bush.
Das politische System der USA ist sorgfältig konstruiert worden, so daß
niemand, der die grundlegende Richtigkeit der
militärisch-industriellen-korporativen Machtstruktur bezweifelt, durch die
Tore der Macht schreiten kann.
Bedenkt man dies, ist es kein Wunder, daß man in dieser Wahl vor zwei
Absolventen der Yale Universität steht, welche beide Mitglieder von Skull
and Bones sind, der gleichen Geheimgesellschaft; beide sind Millionäre,
beide geben sich gerne als Soldaten, beide reden gerne den Krieg hoch und
argumentieren fast kindisch darüber, wer den Krieg gegen den Terrorismus
besser führen wird.
Wie Präsident Bill Clinton vor ihm wird Kerry die Expansion der
US-Wirtschaft und ihre militärische Durchdringung der Welt weiterführen. Er
sagt, daß er Bush auch dann die Berechtigung dafür gegeben hätte in den
Krieg gegen den Irak zu ziehen, wenn er gewußt hätte, daß der Irak keine
Massenvernichtungswaffen besitzt. Er verspricht mehr Truppen in den Irak zu
entsenden. Er sagte kürzlich, daß er Bushs Politik Israel und Ariel Sharon
gegenüber zu 100 Prozent unterstütze. Er sagt, daß er 98% der
Steuerkürzungen Bushs beibehalten will.
So liegt unter dem schrillen Austausch von Beleidigungen fast absoluter
Konsens. Es sieht so aus, als würden die AmerikanerInnen auch dann Bush
bekommen, wenn sie Kerry wählen. Präsident John Kerbush oder Präsident
George Berry.
Es ist keine echte Wahl. Es ist eine Scheinwahl. Es ist als wähle man eine
Marke von Waschmittel. Egal ob man Ivory Snow oder Tide kauft, sie gehören
beide Proctor & Gamble.
Das bedeutet nicht, daß man eine Meinung vertritt, welche keine Abstufungen
kennt, daß der Kongress und die BJP, New Labour und die Tories, die
Demokraten und die Republikaner ununterscheidbar wären. Das ist natürlich
nicht so. Auch nicht bei Tide und Ivory Snow. Tide hat Sauerstoff-Boosting
und Ivory Snow ist ein sanfter Reiniger.
In Indien gibt es einen Unterschied zwischen einer offen faschistischen
Partei (die BJP), und einer Partei welche schlau eine Gruppe gegen die
andere ausspielt (Kongress) und die Saat für den Kommunalismus aussät,
welche dann von der BJP so geschickt geerntet wird.
Bei den heurigen Kandidaten für die US-Präsidentschaft gibt es Unterschiede
in den I.Q.s und dem Ausmaß ihrer Rücksichtslosigkeit. Die
Antikriegsbewegung in den Vereinigten Staaten hat beim Aufzeigen der Lügen
und Käuflichkeit, welche zur Invasion des Iraks geführt haben, eine
phänomenale Arbeit geleistet, trotz der Propaganda und der Einschüchterung,
die sie erfuhr.
Das war nicht nur ein Dienst für die Menschen hier [in den USA], sondern
auch für die ganze Welt. Aber jetzt, wenn die Antikriegsbewegung offen für
Kerry wirbt, glaubt der Rest der Welt, daß sie dessen "sensiblen"
Imperialismus unterstützt. Ist der Imperialismus der USA besser, wenn er
von den Vereinten Nationen und den europäischen Staaten unterstützt wird?
Ist es besser wenn die UNO indische und pakistanische Soldaten dazu
auffordert, das Töten und Sterben im Irak zu erledigen, anstatt daß die
US-Soldaten dies tun? Ist die einzige Veränderung, auf welche die Irakis
hoffen dürfen, daß französische, deutsche und russische Firmen auch bald an
der Beute aus der Besatzung ihres Landes Anteil haben dürfen?
Wäre das wirklich besser oder schlechter für jemanden von uns, die wir in
untergebenen Ländern leben? Ist es besser für die Welt einen intelligenten
Herrscher an der Macht zu haben als einen dummen? Ist das unsere einzige Wahl?
Es tut mir leid; Es ist mir klar, daß dies unangenehme und sogar brutale
Fragen sind, aber sie müssen gefragt werden.
Tatsache ist, daß die Wahldemokratie ein Prozess zynischer Manipulation
geworden ist. Sie bietet uns heute nur einen sehr eingeengten politischen
Raum. Zu glauben, daß dieser Raum eine echte Wahl darstellt, wäre naiv.
Die Krise der modernen Demokratie
Unabhängig von der Gesetzgebung souveräner Staaten stehen internationale
Instrumente des Handels und des Geldes einem komplexen System von
länderübergreifenden Gesetzen und Verträgen vor, durch welche Methoden der
Aneignung festgesetzt und ermöglicht worden sind, die den Kolonialismus
kleinlich wirken lassen. Dieses System erlaubt den ungehinderten Transfer
riesiger Mengen spekulativen Kapitals - heißen Geldes - in Drittweltländer,
und aus ihnen heraus, was diesen in der Praxis ihre Wirtschaftspolitik
vorschreibt. Die Fluchtdrohung aufrecht haltend, kann das internationale
Kapital sich tiefer und tiefer in diese Wirtschaften saugen. Riesige
transnationale Korporationen übernehmen die Kontrolle über ihre wichtigste
Infrastruktur und ihre bedeutendsten natürlichen Ressourcen, ihren Bergbau,
ihr Wasser, ihre Energieversorgung. Die Welthandelsorganisation, die
Weltbank, der Internationale Währungsfond und andere Finanzinstitutionen
wie die Asiatische Entwicklungsbank schreiben deren Wirtschaftsprogramme
und parlamentarischen Gesetze de facto selbst. Mit einer tödlichen
Kombination aus Arroganz und Rücksichtslosigkeit nehmen Sie einen großen
Vorschlagshammer, gehen damit in fragile, von einander abhängige,
historisch komplexe Gesellschaften, und zerschlagen sie.
Über all diesem weht die Fahne der "Reform".
Als Konsequenzen dieser Reformen haben in Afrika, Asien und Lateinamerika
tausende kleiner Unternehmen und Industrien geschlossen, Millionen
ArbeiterInnen und BäuerInnen haben ihre Beschäftigung und ihr Land verloren.
In einer Londoner Zeitung, dem Spectator, kann man sich wieder die
Zuversicht holen, daß "wir in der glücklichsten, gesündesten und
friedlichsten Ära der Menschheitsgeschichte leben". Milliarden staunen
verwundert: Wer ist "wir"? Wo lebt er? Was ist sein christlicher Vorname?
Was man verstehen muß ist, daß die moderne Demokratie stark auf einer
nahezu religiösen Akzeptanz des Nationalstaates beruht. Aber die
Globalisierung durch die Konzerne ist dadurch nicht gebunden. Und das
bewegliche Kapital auch nicht. Und so, obwohl das Kapital die Gewalt des
Nationalstaates braucht um Aufstände seiner DienerInnen niederzuschlagen,
macht es diese Konstellation für jeden einzelnen Staat unmöglich, sich
alleine gegen die Konzernglobalisierung zu stellen.
Radikale Veränderung kann und wird nicht durch Staaten und Regierungen
ausgehandelt werden. Sie kann nur von den Menschen erzwungen werden. Eine
Zivilgesellschaft welche sich über Grenzen hinweg die Arme reicht.
Wenn wir also von "Der Macht der Zivilgesellschaft in einem imperialen
Zeitalter" sprechen, empfindet es hoffentlich niemand als vorschnell
anzunehmen, daß das einzige, was es wert ist diskutiert zu werden, die
Macht einer widersprechenden Zivilgesellschaft ist. Einer
Zivilgesellschaft, welche das Konzept des Imperiums an sich ablehnt. Einer
Zivilgesellschaft, welche sich als Gegenkraft zur eingesessenen Macht sieht
- [welche] gegen internationale, nationale, regionale oder provinzielle
Institutionen und Regierungen [auftritt], die dem Imperium dienen und es
stützen.
Was für Wege sind Menschen offen, welche sich gegen das Imperium stellen
wollen? Mit Widerstand meine ich nicht nur die Artikulation einer
widersprechenden Auffassung, sondern auch das effektive Erzwingen von
Veränderung. Das Imperium spielt in unterschiedlichen Situationen
unterschiedliche Karten aus. Es verwendet verschiedene Waffen um
verschiedene Märkte aufzubrechen. Sie kennen das, [manchmal ist es] das
Scheckbuch und [manchmal] die Cruise Missile.
Den Armen begegnet das Imperium in vielen Ländern nicht immer in der Form
von Cruise Missiles und Panzern, wie es im Irak, in Afghanistan und in
Vietnam geschah. Es erscheint in der Form verschiedenster Avatars vor Ort
in ihrem Leben [Anm.: Ein Avatar ist die Verkörperung einer Gottheit auf
Erden] - sie verlieren ihren Job, ihnen werden unbezahlbare Stromrechnungen
zugesandt, ihnen wird die Wasserversorgung abgedreht, sie werden von ihren
Häusern vertrieben und von ihrem Land entwurzelt. All dies wird von der
repressiven Staatsmaschinerie überwacht oder durchgeführt, der Polizei, der
Armee, der Justiz. Es ist ein Prozess erbarmungsloser Verarmung, mit
welchem die Armen historisch gesehen sehr vertraut sind. Das Imperium
verstärkt bestehende Ungleichheiten und verschlimmert sie.
Noch bis vor kurzem war es für die Menschen oft schwierig sich als Opfer
einer Eroberung des Imperiums zu sehen. Aber nun haben Anstrengungen und
Kämpfe vor Ort begonnen, ihre Rolle in größerer Klarheit zu sehen. Wie
übertrieben dies auch klingen mag, Tatsache ist, daß sie auf verschiedenste
Weise das Imperium auf ihre eigene Art konfrontieren. Dies geht im Irak, in
Indien und in Argentinien unterschiedlich vor, und wieder anders sieht es
auf den Straßen Europas und der Vereinigten Staaten aus.
Widerstand oder Terrorismus?
Massenwiderstandsbewegungen, individuelle AktivistInnen, JournalistInnen,
KünstlerInnen und FilmemacherInnen sind zusammengekommen, um dem Imperium
seinen Glanz zu nehmen. Sie haben die Informationen zusammengeführt und die
Cash-Flow-Diagramme und Vorstandsreden in echte Berichte über echte
Menschen in echter Verzweiflung verwandelt. Sie haben gezeigt, wie das
neo-liberale Projekt Menschen ihren Wohnraum, ihr Land, und ihre Jobs, ihre
Freiheit und ihre Würde genommen hat. Sie haben das abstrakte berührbar
gemacht. Sie haben dem früher körperlosen Feind einen Körper gegeben.
Das ist ein großartiger Erfolg. Er konnte durch die Zusammenkunft von
verschiedenen politischen Gruppen, mit einer Vielzahl von Strategien,
erreicht werden. Aber sie alle erkannten, daß das Ziel ihres Ärgers, ihres
Aktivismus und ihrer Verbissenheit das gleiche war. Das war der Beginn der
echten Globalisierung, der Globalisierung des Dissenses.
Grob gesprochen gibt es heute in der Dritten Welt zwei Arten von
Massenwiderstandsbewegungen. Die Bewegung der Landlosen LandarbeiterInnen
in Brasilien, die Anti-Damm Bewegung in Indien, die Zapatisten in Mexiko,
das Anti-Privatisierungs-Forum in Südafrika, und hunderte weitere, kämpfen
gegen ihre eigenen souveränen Regierungen, welche zu Agenten des
neoliberalen Projekts geworden sind. Viele dieser Anstrengungen sind
radikal; sie kämpfen um die Struktur und die Art des Entwicklungsmodells
ihrer eigenen Gesellschaft zu verändern.
Dann gibt es jene, welche brutale neokoloniale Unternehmungen in
umstrittenen Gebieten bekämpfen, deren Grenzen und Bruchlinien in vielen
Fällen im vergangenen Jahrhundert künstlich von imperialistischen Mächten
eingezeichnet worden sind. In Palästina, Tibet, Tschetschenien, Kaschmir
und mehreren Staaten Indiens nordöstlicher Provinzen, kämpfen Menschen für
ihre Selbstbestimmung.
Viele dieser Kämpfe waren vielleicht radikal, möglicherweise revolutionär,
als sie begannen; aber oft zwingt sie die Brutalität der Unterdrückung in
eine konservative, vielleicht sogar reaktionäre Position, aus welcher
heraus sie die gleichen brutalen Strategien nutzen und die gleiche Sprache
des religiösen und kulturellen Nationalismus sprechen wie die Staaten,
welche sie ersetzen wollen.
Viele FußsoldatInnen dieser Anstrengungen wird es wie jenen gehen, welche
in Südafrika die Apartheid bekämpft haben. Sobald sie die offensichtliche
Besatzung überwunden haben, werden sie bemerken, daß ihnen noch ein großer
Kampf bevorsteht - der Kampf gegen den verborgenen wirtschaftlichen
Kolonialismus.
Inzwischen, in einer Zeit, in welcher die Kluft die Arm und Reich trennt,
noch tiefer gegraben wird und der Kampf um die Kontrolle der Ressourcen
dieser Welt sich intensiviert, wird der wirtschaftliche Kolonialismus durch
militärische Angriffe wieder gestärkt.
Der heutige Irak ist ein tragisches Beispiel für diesen Prozeß. Eine
illegale Invasion. Eine brutale Besatzung im Namen der Befreiung. Eine
Neuauflage der Gesetze, welche den Korporationen eine schamlose Aneignung
des Reichtums dieses Landes erlaubt; und jetzt die Scharade einer
"irakischen Regierung".
Aus diesen Gründen ist es absurd, den irakischen Widerstand gegen die
US-Besatzung allein als geistiges Werk von Terroristen, Aufständischen oder
Unterstützern Saddam Husseins zu sehen. Wenn die Vereinigten Staaten
überfallen und besetzt werden würden, würde dann jeder, der kämpft, um sie
wieder zu befreien, TerroristIn oder Bush-AnhängerIn sein?
Der irakische Widerstand kämpft auf der Frontlinie des Kampfes gegen das
Imperium. Und daher ist dieser Kampf unser Kampf.
Wie jede Widerstandsbewegung vereinigt diese bunt zusammengewürfelte
Fraktionen. Frühere Baathisten, Liberale, IslamistInnen, beleidigte
Kollaborateure, KommunistInnen und andere. Selbstverständlich ist sie voll
von Opportunismus, inneren Streitigkeiten, Demagogie und Kriminalität. Aber
wenn wir nur makellose Bewegungen unterstützen, dann wird keine
Widerstandsbewegung unserer moralischen Reinheit würdig sein.
Das soll nicht heißen, daß wir Widerstandsbewegungen nicht kritisieren
sollen. Viele von ihnen leiden an einem Demokratiemangel, an einer
Verherrlichung ihrer "Führer", einem Mangel an Transparenz, einem Mangel an
Vision und Zielrichtung. Aber am meisten leiden sie an ihrer Verteufelung,
Unterdrückung und einem Mangel an Ressourcen.
Bevor wir vorgeben, wie ein moralisch hochwertiger irakischer Widerstand
seinen weltlichen, feministischen, demokratischen, gewaltfreien Kampf zu
führen hat, sollten wir den Widerstand auf unserer Seite verstärken, und
die USA, sowie die mit ihr verbündeten Staaten dazu zwingen, sich aus dem
Irak zurückzuziehen.
In den Vereinigten Staaten fand die erste militante Konfrontation zwischen
der Bewegung für weltweite Gerechtigkeit und der neoliberalen Junta, wie
gut bekannt ist, im September 1999 bei der WTO-Konferenz in Seattle statt.
Für viele Massenbewegungen in Entwicklungsländern, wo sie schon seit langem
einsam und isoliert gekämpft hatten, war Seattle das erste erfreuliche
Zeichen, daß ihr Zorn und ihre Vision für eine andere Art von Welt, von
Menschen in den imperialistischen Ländern geteilt wird.
Weltsozialforum
Im Januar 2001 kamen 20.000 AktivIstinnen, StudentInnen, FilmemacherInnen -
einige der besten Köpfe dieser Welt - in Porto Alegre, in Brasilien,
zusammen, um ihre Erfahrungen bei und ihre Ideen für die Konfrontation mit
dem Imperium auszutauschen. Das war die historisch gewordene Geburt des
Weltsozialforums. Es war das erste formale Treffen einer aufregenden,
anarchischen, unindoktrinierten, kraftvollen, neuen Art von
"Zivilgesellschaft". Der Aufruf des Weltsozialforums ist "Eine andere Welt
ist möglich". Es ist zu einer Plattform geworden, auf welcher
hunderttausende Gespräche, Debatten und Seminare dabei geholfen haben eine
Vision auszuarbeiten und ausreifen zu lassen, was für eine Art von Welt
dies sein soll.
Im Januar 2004, als das vierte Weltsozialforum in Mumbai, in Indien,
stattfand, zog es 200.000 Menschen an. Ich war noch nie Teil eines so
kraftvollen Treffens. Es war ein Zeichen für den Erfolg des Sozialforums,
daß die Mainstream-Medien in Indien es vollkommen ignorierten. Aber das
Weltsozialforum ist wegen seinem Erfolg in Gefahr. Die sichere, offene,
festliche Atmosphäre des Forums hat es PolitikerInnen und
Nichtregierungsorganisationen (NGOs), die eng mit dem politischen und
wirtschaftlichen System verbunden sind, welches das Forum ablehnt,
ermöglicht, sich Gehör zu verschaffen.
Eine andere Gefahr ist, daß das Weltsozialforum, welches eine so
entscheidende Rolle in der Bewegung für weltweite Gerechtigkeit gespielt
hat, ein Ziel für sich wird. Allein die jährliche Organisation verbraucht
die Energien einiger der besten AktivistInnen. Wenn Gespräche über
Widerstand echten zivilen Ungehorsam ersetzen, dann könnte das
Weltsozialforum eine wertvolle Institution für jene werden, denen sich das
Forum ursprünglich entgegenstellte. Das Forum muß stattfinden und muß
wachsen, aber wir müssen Wege finden, unsere Gespräche dort in konkrete
Taten zu verwandeln.
Als Widerstandsbewegungen begonnen haben, über nationale Grenzen hinweg zu
arbeiten und eine echte Bedrohung darzustellen, haben die Staaten ihre
eigenen Strategien entwickelt, um mit ihnen fertig zu werden. Von
Kooptation bis zur Unterdrückung.
Massenbewegungen und Massenmedien
Ich werde über drei Gefahren sprechen, welche Widerstandsbewegungen heute
bedrohen: die problematische Beziehung zwischen den Massenbewegungen und
den Massenmedien, der Gefahr der NGO-isierung des Widerstandes, und der
Konfrontation der Widerstandsbewegungen mit zunehmend repressiven Staaten.
Das Zusammentreffen von Massenmedien und Massenbewegungen ist kompliziert.
Staaten haben gelernt, daß von Krisen angetriebene Medien es sich nicht
leisten können, zu lange beim selben Thema zu verweilen. Wie
Wirtschaftsbetriebe einen Umsatz von Geld brauchen, brauchen die Medien
einen Umsatz von Krisen. Ganze Länder werden zu Nachrichten von gestern.
Sie hören auf zu existieren, und die Dunkelheit wird schwärzer als noch zur
Zeit, bevor das Licht kurz auf sie gefallen war. Wir sahen wie das mit
Afghanistan geschah, als die Sowjets sich zurückzogen. Und nun, nachdem die
Operation Enduring Freedom die CIA-Figur Hamid Karzai installiert hat, ist
Afghanistan wieder seinen Warlords zurückgegeben worden.
Eine andere CIA-Figur, Iyad Allawi, ist im Irak installiert worden, und so
ist für die Medien vielleicht die Zeit gekommen, sich auch von dort wieder
zu entfernen.
Während Regierungen die Kunst, eine Krise auszusitzen, perfektionieren,
werden die Widerstandsbewegungen im Wirbel der Krisenproduktion vermehrt
dazu verführt, Wege zu finden, Krisen in einem einfach verdaubaren und
zuschauerfreundlichen Format herzustellen.
Von jeder Bewegung, welche ernstgenommen werden will, von jedem "Thema"
wird erwartet, daß es seinen eigenen Heißluftballon starten lässt, um sein
Markenzeichen und seinen Zweck zu bewerben.
Deswegen sind Hunger-Tote ein effektiveres Werbemittel für die Verarmung
als Millionen unterernährter Menschen. Dämme sind nicht für Nachrichten
gut, bis die von ihnen verursachten Verwüstungen gute Bilder liefern. (Und
dann ist es zu spät).
Tagelang im ansteigenden Wasser eines Reservoirs zu stehen und dabei sein
Haus und seine Habseligkeiten wegschwimmen zu sehen, war einmal eine
effektive Strategie beim Protest gegen große Dämme, aber das funktioniert
nicht mehr. Die Medien langweilen sich dabei inzwischen zu Tode. Also
erwartet man von den hunderttausenden Menschen, die von Dämmen vertrieben
werden, daß sie sich neue Tricks einfallen lassen oder den Kampf aufgeben.
Bunte Demonstrationen und Wochenendmärsche sind ein kraftvoller Ausdruck,
aber reichen nicht aus, um einen Krieg zu verhindern. Kriege werden nur
dann gestoppt werden, wenn SoldatInnen sich weigern zu kämpfen, wenn
ArbeiterInnen sich weigern, Waffen auf Schiffe und Flugzeuge zu laden, wenn
die Menschen die wirtschaftlichen Außenposten des Imperiums, welche sich
über die ganze Welt erstrecken, boykottieren.
Wenn wir Raum für zivilen Widerstand zurückerobern wollen, werden wir uns
selbst von der Tyrannei der Krisenberichterstattung und ihrer Furcht vor
dem Weltlichen befreien müssen. Wir werden unsere Erfahrung, unsere
Kreativität und unsere Kunst dafür einsetzen, die Methoden dieses Zustands
zu hinterfragen; Methoden welche sicherstellen, daß "normal" bleibt was
grausam, ungerecht, inakzeptabel ist. Wir müssen jene politischen Programme
und Prozesse für alle sichtbar machen, welche ganz gewöhnliche Dinge -
Nahrung, Wasser, eine Unterkunft, Würde - zu einem so unerreichbaren Traum
für gewöhnliche Menschen machen. Für eine erfolgreiche Prävention ist es
notwendig zu verstehen, daß Krieg die Folge eines mangelhaften und
ungerechten Friedens ist.
Was die Massenwiderstandsbewegungen betrifft, ist es so, daß keine Menge an
Berichterstattung durch die Medien eine große und starke Massenbeteiligung
vor Ort ersetzen kann. Es gibt einfach keine Alternative zu altmodischer,
aufwendiger, politischer Mobilisation.
Die Konzernglobalisierung hat die Distanz zwischen den Entscheidungsträgern
und jenen vergrößert, welche die Konsequenz ihrer Entscheidungen zu
ertragen haben. Foren wie das Weltsozialforum ermöglichen es örtlichen
Widerstandsbewegungen, diese Distanz zu reduzieren und sich mit den
Bewegungen aus den reichen Ländern zu verbinden. Diese Allianz ist wichtig
und sehr fruchtvoll. Als zum Beispiel Indiens erster privater Damm, der
Maheshwar-Damm gebaut wurde, hat eine Allianz zwischen Narmada Bachao
Andolan (NBA), der deutschen Organisation Urgewald, der Erklärung von Bern
und dem International Rivers Network in Berkeley es geschafft, einige
internationale Banken und Korporationen dazu zu bringen, aus dem Projekt
wieder auszusteigen. Das wäre ohne eine solide Widerstandsbewegung vor Ort
unmöglich gewesen. Die Stimme dieser örtlichen Bewegung ist von
UnterstützerInnen überall auf der Welt verstärkt worden, was die Investoren
in eine peinliche Situation brachte und sie dazu zwang sich zurückzuziehen.
Eine Vielzahl ähnlicher Allianzen, welche spezifische Projekte und
spezifische Konzerne als Ziel hätten, würden dabei helfen, eine andere Welt
möglich zu machen. Wir sollten mit den Konzernen beginnen, welche mit
Saddam Hussein Geschäfte machten und nun von der Zerstörung und Besatzung
des Iraks profitieren.
Die NGO-isierung des Widerstandes
Eine zweite Gefahr, welche die Massenbewegungen heute bedroht, ist die
NGO-isierung des Widerstandes. Es wird einfach sein, das was ich sagen
werde, als eine Anklage gegen alle NGOs darzustellen. Das wäre nicht
richtig. Es gibt zwar schmutzige Gewässer, in welchen Schein-NGOs
schwimmen, die dazu gegründet werden, um Geld zu machen oder um Steuern
auszuweichen (in Staaten wie Bihar werden sie als Mitgift gegeben), aber es
gibt auch NGOs, die wertvolle Arbeit machen. Aber es ist wichtig, die NGOs
in einem breiteren politischen Kontext zu betrachten.
In Indien begann der NGO-Boom zum Beispiel in den späten 80er und frühen
90er Jahren. Er fiel mit der Öffnung indischer Märkte für den
Neoliberalismus zusammen. Zu diesem Zeitpunkt reduzierte der indische
Staat, um den Erfordernissen der strukturellen Anpassung zu genügen, die
Finanzierung der Entwicklung ländlicher Regionen und von Bereichen wie
Landwirtschaft, Energie, Transport und öffentliche Gesundheitsversorgung.
Als der Staat sich von seiner traditionellen Rolle trennte, kamen NGOs, um
in genau diesen Bereichen zu arbeiten. Der Unterschied ist natürlich, daß
die Gelder, welche sie zur Verfügung haben, nur ein winziger Bruchteil der
Reduktionen in den öffentlichen Ausgaben sind. Die meisten großen NGOs
werden von Hilfs- und Entwicklungsagenturen finanziert und patronisiert,
welche wiederum von westlichen Regierungen, der Weltbank, der UNO und
einigen multinationalen Konzernen finanziert werden. Obwohl sie vielleicht
nicht die gleichen Agenturen sind, sind sie sicherlich Teil derselben losen
politischen Formation, welche das neoliberale Projekt überwacht und den
Einschnitt in der öffentlichen Finanzierung erst gefordert hat.
Warum sollten diese Agenturen NGOs finanzieren? Könnte es einfach
altmodischer missionarischer Eifer sein? Schuldgefühle? Es ist ein bisschen
mehr als das. NGOs vermitteln den Eindruck, daß sie das Vakuum füllen,
welches der Staat zurückgelassen hat. Und das machen sie auch, aber in
einem substanziell nicht relevanten Ausmaß. Ihr echter Beitrag ist, daß sie
politischen Ärger entschärfen und das, auf was ein jeder ein Recht haben
sollte, als Hilfe oder im Namen der Wohltätigkeit austeilen.
Sie verändern die Psyche der Bevölkerung. Sie machen Menschen zu abhängigen
Opfern und stumpfen die Ecken des politischen Widerstandes ab. NGOs bilden
eine Art Puffer zwischen dem Sarkar und der Bevölkerung. Zwischen dem
Imperium und seinen Untertanen. Sie sind zu den Vermittlern, den Erklärern
und den Umsetzern geworden.
Auf lange Sicht gesehen, sind NGOs ihren Finanziers verpflichtet, nicht den
Menschen mit welchen sie zu tun haben. Sie sind, was BotanikerInnen eine
Indikatorspezies nennen würden. Es ist fast so, daß je größer die vom
Neoliberalismus verursachte Zerstörung geworden ist, umso mehr NGOs
auftauchen. Nichts illustriert dies passender als das Phänomen in den USA,
welche sich dazu vorbereitet, in einem Land einzufallen und gleichzeitig
die NGOs bereit macht, um in dieser Zerstörung wieder aufzuräumen.
Um sicherzustellen, daß ihre Finanzierung nicht gefährdet ist, und daß die
Regierungen der Länder, in welchen sie arbeiten, ihnen weiterhin erlauben
werden, ihre Funktion zu erfüllen, müssen NGOs ihre Arbeit in einem hohlen
Rahmen darstellen, dem der politische und historische Hintergrund
herausgerissen worden ist. Oder zumindest jener historische und politische
Hintergrund, den man nicht gerne hört.
Apolitische (und daher in Wirklichkeit extrem politische) Notrufe aus armen
Ländern und Kriegszonen lassen diese (dunkelhäutigen) Menschen dieser
(dunkelhäutigen) Länder schließlich wie pathologische Opfer aussehen. Noch
ein unterernährter Inder, noch eine verhungernde Äthiopierin, noch ein
afghanisches Flüchtlingslager, noch eine verkrüppelte Sudanesin
welche
alle der Hilfe des weißen Mannes bedürfen. Sie verstärken, ohne es zu
wissen, rassistische Vorurteile und betonen die Errungenschaften, den
Komfort und das Mitgefühl (die harte Liebe) der westlichen Gesellschaft.
Sie sind die weltlichen Missionare der modernen Welt.
Und schließlich spielt das für NGOs verfügbare Kapital die gleiche Rolle in
alternativer Politik, wie das spekulative Kapital, welches in armen
Wirtschaftsräumen ein- und wieder ausfließt, in einem geringeren Maße zwar,
aber auf heimtückischere Weise. Es beginnt die Themen zu bestimmen. Es
macht Konfrontationen zu Verhandlungen. Es entpolitisiert den Widerstand.
Es mischt sich in regionale Bewegungen ein, welche traditionell
selbstständig gearbeitet hatten. NGOs haben Gelder, mit welchen Menschen
angestellt werden können, die sonst AktivistInnen in Widerstandsbewegungen
sein könnten, aber nun fühlen, daß sie etwas sofort wirksames,
konstruktives und gutes machen können (und sich ihren Lebensunterhalt
verdienen, während sie das tun). Echter politischer Widerstand bietet keine
solchen Abkürzungen.
Die NGO-isierung der Politik droht den Widerstand in einen respektablen,
vernünftigen, bezahlten 9-bis-17-Uhr-Job zu machen. Und dazu gibt es noch
einige Vergünstigungen. Echter Widerstand hat echte Konsequenzen. Und er
wird nicht bezahlt.
Der Kampf zwischen Zivilgesellschaft und Imperium: In Indien und anderswo
Das bringt uns zur dritten Gefahr, über welche ich heute sprechen will: die
gefährliche Art der eigentlichen Konfrontation zwischen
Widerstandsbewegungen und immer repressiveren Staaten. Zwischen der
Zivilgesellschaft und den Agenten des Imperiums.
Wann immer ziviler Widerstand die geringsten Anzeichen gezeigt hat, sich
von symbolischen Aktionen zu irgendetwas auch nur im entferntesten
Gefährlichen zu entwickeln, wurde die Unterdrückung gnadenlos. Wir haben
gesehen, was bei den Demonstrationen in Seattle, in Miami, in Göteburg und
in Genua passiert ist.
In den Vereinigten Staaten hat man nun den USA Patriot Act, welcher für
Regierungen überall auf der Welt zu einem Entwurf für Antiterrorgesetze
geworden ist. Freiheiten werden eingeschränkt, und dies wird mit dem Schutz
der Freiheit gerechtfertigt. Und wenn wir einmal unsere Freiheiten
aufgegeben haben, wird es eine Revolution geben müssen, um sie wieder
zurückzugewinnen.
Einige Regierungen haben viel Erfahrung bei der Einschränkung von
Freiheiten und sehen noch immer viele Möglichkeiten dabei. Die Regierung
von Indien, schon lange ein Teilnehmer bei diesem Spiel, wirft Licht auf
den Pfad.
Über die Jahre hat die indische Regierung eine Vielzahl von Gesetzen
erlassen, welche es ihr erlauben, fast jeden als terroristisch,
aufständisch oder militant zu kennzeichnen. Bei uns gibt es das
Militärische Sonderermächtigungsgesetz, das Gesetz für Öffentliche
Sicherheit, das Gesetz für Sicherheit in besonderen Gebieten, das
Gangster-Gesetz, den Terrorist and Disruptive Areas Act (den es formal zwar
nicht mehr gibt, aber unter welchem noch immer Menschen vor Gericht stehen)
und POTA (Gesetz zur Verhinderung von Terrorismus), was ein
Breitband-Antibiotikum gegen die Krankheit des Dissens ist.
Es werden noch weitere Schritte unternommen, wie Gerichtsurteile, welche
darauf hinauslaufen, die Redefreiheit einzuschränken,
Regierungsangestellten das Recht zu streiken nehmen, und Menschen das Recht
auf einen Lebensunterhalt nehmen. Gerichte haben begonnen, unsere
Lebensweise in Indien zu bestimmen. Und die Gerichte zu kritisieren ist
strafbar.
Die Zahl jener Menschen, welche im letzten Jahrzehnt von Polizei- und
Sicherheitskräften getötet worden ist, muß in Zehntausenden angegeben
werden. Im Staat Andhra Pradesh (dem Vorzeigemodell für
Konzernglobalisierung in Indien) werden pro Jahr im Durchschnitt etwa 200
"ExtremistInnen" bei etwas getötet, das "Zusammenstöße" genannt wird. Die
Polizei in Bombay gibt damit an, wieviele "Gangster" sie in "Shoot Outs"
erschossen hat. In Kashmir, wo ein Zustand herrscht der eine Art von Krieg
darstellt, wurden seit 1989 ungefähr 80.000 Menschen getötet. Tausende sind
einfach "verschwunden". In den nordöstlichen Provinzen ist die Situation
ähnlich.
In den letzten Jahren hat die indische Polizei häufig Feuer auf
unbewaffnete Menschen eröffnet, meistens Dalits und Adivasis. Die
bevorzugte Methode ist es, sie umzubringen und sie dann TerroristInnen zu
nennen. Indien steht hier aber nicht alleine da. Wir haben gesehen, wie
ähnliches in Ländern wie Bolivien, Chile und Südafrika passiert ist. In der
Ära des Neoliberalismus ist Armut ein Verbrechen und Widerstand gegen sie
wird vermehrt als Terrorismus bezeichnet.
In Indien wird POTA (Prevention of Terrorism Act) auch oft Production of
Terrorism Act genannt. Es ist ein vielseitig einsetzbares, für alles
verwendbares Gesetz, das genausogut gegen ein Mitglied Al-Kaidas wie gegen
einen verärgerten Busfahrer angewendet werden kann. Wie bei allen
Antiterrorgesetzen ist die Genialität hinter POTA, daß es sein kann, was
auch immer die Regierung gerade braucht. Nach dem Pogrom in Gujarat vom
Jahr 2002, in welchem etwa 2.000 MuslimInnen brutal von Hindu-Mobs getötet
worden sind und 150.000 von ihren Häusern vertrieben wurden, sind 287
Menschen unter POTA angeklagt worden. Von diesen sind 286 MuslimInnen und
einer ein Sikh.
POTA läßt unter Polizeigewahrsam erhaltene Geständnisse als Beweismittel
vor Gericht zu. Das führt dazu, daß Folter die Nachforschungen ersetzt. Das
South Asia Human Rights Documentation Center berichtet, daß es in Indien
die meisten Folterungen und Todesfälle während der Inhaftierung weltweit
gibt. Regierungsdaten zeigen, daß es allein 2002 1.307 Todesfälle in
Polizeigewahrsam gegeben hat.
Vor einigen Monaten war ich Mitglied eines Volkstribunals, welches sich mit
POTA befasste. Während einer Dauer von zwei Tagen hörten wir uns
entsetzliche Berichte darüber an, was in unserer wundervollen Demokratie
vor sich geht. Es gibt alles - von Leuten, welche dazu gezwungen werden
Urin zu trinken, denen das Gewand vom Leib gerissen wird, die gedemütigt
werden, denen elektrische Schocks gegeben werden, die mit Zigaretten
verbrannt werden, denen Eisenstäbe in den After geschoben werden, die zu
Tode geschlagen und getreten werden. Die neue Regierung hat versprochen
POTA aufzuheben. Ich wäre überrascht, wenn das passiert, bevor eine neue
Gesetzgebung unter einem anderen Namen in Kraft getreten ist. Wenn es nicht
POTA ist, dann wird es MOTA sein, oder etwas Ähnliches.
Wenn jeder Weg des gewaltfreien Widerstandes gesperrt wird und jeder, der
gegen die Verletzung von Menschenrechten protestiert, Terrorist genannt
wird, sollten wir dann wirklich überrascht sein, wenn große Teile des
Landes von jenen überrannt werden, welche an einen bewaffneten Kampf
glauben und mehr oder weniger außerhalb der Kontrolle des Staates stehen:
in Kashmir, in den nordöstlichen Provinzen, in großen Teilen von Madhya
Pradesh, Chattisgarh, Jharkhand und Andhra Pradesh. Die einfachen Menschen
in diesen Regionen sind zwischen der Gewalt der Militanten und der des
Staates gefangen.
Die Armee schätzt, daß in Kashmir zu jeder Zeit zwischen 3.000 und 4.000
Militante operieren. Um sie zu kontrollieren, setzt der indische Staat dort
etwa 500.000 SoldatInnen ein. Es sind offensichtlich nicht nur die
Militanten, welche die Armee kontrollieren will, sondern eine ganze
Bevölkerung von gedemütigten unglücklichen Menschen, welche die indische
Armee als eine Besatzungsmacht betrachten.
Das Militärische Sonderermächtigungsgesetz erlaubt es nicht nur Offizieren,
sondern auch niedrigrangigerem Personal der Armee, Gewalt gegen jede Person
anzuwenden und sie auch zu töten, wenn sie verdächtigt wird, die
öffentliche Ordnung zu stören. Es wurde 1958 zunächst für einige Gebiete in
Manipur erlassen. Heute wird es beinahe im ganzen Nordosten und in Kaschmir
angewandt. Die Berichte von Folterungen, Verschwundenen, Todesfällen
während der Gefangenschaft, Vergewaltigungen und Massenhinrichtungen durch
Sicherheitskräfte ist genug, um einem den Magen umzudrehen.
In Andhra Pradesh, in einem der bedeutendsten Staaten Indiens, ist die
marxistisch-leninistische Volkskriegsgruppe seit Jahren an einem
gewalttätigen bewaffneten Konflikt beteiligt und war das Hauptziel bei
vielen vorgetäuschten "Zusammenstößen" der Polizei Andhra Pradeshs. Sie
hielten am 28. Juli 2004 in der Stadt Warangal ihr erstes öffentliches
Treffen seit Jahren.
Hunderttausende Menschen kamen. Unter POTA gelten diese nun alle als
TerroristInnen. Wird man sie alle in einer indischen Version von Guntanamo
Bay einsperren?
Der ganze Nordosten und das Kaschmir-Tal stehen vor einem Aufruhr. Was wird
der Staat mit diesen Millionen Menschen machen?
Es gibt heute keine Diskussion auf der Welt, welche wichtiger ist, als die
Debatte über die Strategien des Widerstandes. Und die Wahl der Strategie
ist nicht ganz in den Händen der Bevölkerung. Sie liegt auch in den Händen
des Sarkars.
Denn wenn die USA den Irak in jener Art überfällt und besetzt, wie sie es
gemacht hat, nämlich mit überwältigender militärischer Übermacht, kann man
vom Widerstand dann erwarten, daß er ein gewöhnlicher militärischer sein
wird? (Natürlich würde er auch terroristisch genannt werden, wenn er ein
gewöhnlicher wäre.) Auf eine seltsame Art macht das Arsenal von Waffen und
konkurrenzloser Luftwaffe und Feuerkraft den Terror zur unausweichlichen
Antwort. Was den Menschen an Geld und Macht fehlt, werden sie durch
Verborgenheit und Strategie wettzumachen versuchen.
Wenn die Staaten in diesen unruhigen Zeiten, die einen zur Verzweiflung
bringen können, nicht alles tun, um die gewaltfreien Widerstandsbewegungen
anzuerkennen, dann privilegieren sie automatisch jene, welche sich der
Gewalt zuwenden. Keine Verurteilung des Terrorismus durch einen Staat ist
glaubwürdig, wenn dieser nicht vorzeigen kann, daß er offen für
Veränderungen durch gewaltfreien Dissens ist.
Aber anstelle dessen werden gewaltfreie Widerstandsbewegungen zerschlagen.
Jede Art von politischer Massenmobilisierung oder -organisation wird
bestochen, gebrochen oder einfach ignoriert.
Inzwischen widmen die Staaten, die Konzernmedien - und vergessen wir nicht
die Filmindustrie - , ihre Zeit, ihre Aufmerksamkeit, ihre Technologie,
ihre Forschung und ihre Bewunderung dem Krieg und dem Terrorismus. Die
Gewalt ist vergöttlicht worden.
Die Botschaft, die daraus hervorgeht, ist beunruhigend und gefährlich: Wenn
du versuchen willst einem Ärger der Bevölkerung Ausdruck zu verleihen, ist
Gewalt effektiver als Gewaltfreiheit.
Während die Kluft, die Arm und Reich trennt, größer wird, während die
Notwendigkeit immer akuter wird, die Ressourcen der Welt zuzuweisen und zu
kontrollieren um die große kapitalistische Maschine zu füttern, wird der
Aufruhr sich verstärken.
Für jene von uns, welche auf der falschen Seite des Imperiums leben, wird
die Demütigung unerträglich.
Jedes irakische Kind, welches von den Vereinigten Staaten getötet worden
ist, war unser Kind. Jeder Gefangene, der in Abu Ghraib gefoltert worden
ist, war unser Kamerad. Jeder ihrer Schreie war unserer. Wenn sie
gedemütigt werden, so sind es wir, die gedemütigt werden. Die
US-SoldatInnen, welche im Irak kämpfen - zum Großteil Freiwillige aus einer
Konskription in Kleinstädten und armen Stadtteilen, sind genauso Opfer
dieses schrecklichen Vorgangs, wie die IrakerInnen, einem Vorgehen, das von
ihnen fordert für einen Sieg zu sterben, der niemals ihrer sein wird.
Die Mandarine der Konzernwelt, die CEOs, die Bankiers, die PolitikerInnen,
die RichterInnnen und Generäle sehen von oben auf uns herab und schütteln
ernst ihre Häupter. "Es gibt keine Alternative", sagen sie. Und lassen wir
die Hunde des Kriegs von den Ketten.
Dann kommt aus den Ruinen Afghanistans, den Schutthaufen des Iraks und
Tschetscheniens, von den Straßen des besetzten Palästinas, aus den Bergen
Kaschmirs, von den Hügeln und Prärien Kolumbiens und aus den Wäldern Andhra
Pradehs und Assms die kalte Antwort: "Es gibt keine Alternative außer dem
Terror". Terrorismus. Bewaffneter Kampf. Aufstand. Nenne es wie du willst.
Terrorismus ist bösartig, ekelhaft und entmenschlicht sowohl diejenigen,
die ihn ausüben, wie auch seine Opfer. Aber genauso tut es der Krieg. Man
könnte sagen, daß der Terrorismus die Privatisierung des Krieges ist.
TerroristInnen sind die Freihändler des Krieges. Es sind Leute die nicht
glauben, daß der Staat ein Monopol auf die legitime Anwendung von Gewalt hat.
Die menschliche Gesellschaft steuert einen furchtbaren Ort an.
Natürlich gibt es eine Alternative zum Terrorismus. Sie wird Gerechtigkeit
genannt.
Es wird Zeit zu erkennen, daß keine noch so große Zahl nuklearer Waffen
oder Daisy Cutters, weder eine Full-spectrum Dominance noch falsche
Regierungsräte oder Loya Jirgas, den Frieden auf Kosten der Gerechtigkeit
kaufen können.
Das Verlangen nach Hegemonie und Übermacht von manchen wird dazu führen,
daß andere sich noch stärker nach Würde und Gerechtigkeit sehnen.
Welche Form der Kampf haben wird, ob er wunderschön oder blutdürstig sein
wird, hängt von uns ab.
Quelle: ZNet Deutschland vom 16.09.2004. Übersetzt von: Matthias, leichte
Bearbeitung von Michael Schmid. Orginalartikel: "Tide? Or Ivory Snow?"
Veröffentlicht am 16.09.04
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