[E-rundbrief] Info 131 - Kritischer Journalist Helmut Waldert gestorben - Texte und Informationen

Matthias Reichl mareichl at ping.at
Mo Aug 23 16:31:55 CEST 2004


E-Rundbrief - Info 131 - Erst der Tod brachte ihn zum Schweigen. Der 
kritische (ehem.) ORF-Journalist und Aktivist Helmut Waldert (1942 - 2004). 
Eine Erinnerung von Matthias Reichl und weiteren Freunden. Texte und Liste 
seiner Sendungen und Publikationen.

Bad Ischl, 23.8.2004

Begegnungszentrum für aktive Gewaltlosigkeit

www.begegnungszentrum.at

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Erst der Tod brachte ihn zum Schweigen.

Der Journalist und Aktivist Helmut Waldert (25.7.1942 - 16.8.2004).

Eine Erinnerung von Matthias Reichl.

"Das Ergebnis der absurden Rüstung, inklusive der atomaren, war schon 
bisher nicht Frieden , sondern Erpreßbarkeit und Unterwerfung. Diese 
sogenannten 'Dienstleistungen' werden heute von der Ökonomie nachgefragt. 
Politik, Investoren und Konzerne reden, wenn sie den Bau neuer Imperien 
meinen, ganz offen von der Eroberung der Märkte und von Ressourcen.

Menschen wird eine Karriere zugedacht, die sie zu 'human ressources' 
degradiert. 'Wettbewerb' ist organisiert als Vernichtungs-Konkurrenz, um 
Sieger und Verlierer zu ermitteln. Wirtschaft wird zu einer Fortsetzung des 
Krieges mit anderen Mitteln. Es gibt also neue Gründe, ein altes 
Gewalt-Konzept zu bekämpfen..."

(Helmut Walderts Stellungnahme zum Hiroshima-Gedenktag 2001, Wien, 
http://www.hiroshima.at)

"Wenn wir uns die Frage stellen, was denn die Gesellschaft zusammenhält, 
erkennen wir, daß NGOs, NPOs und soziale Vereine eine wesentliche Rolle 
dabei spielen. An dieser Stelle wird auch die Rolle des Internets bei der 
Kommunikation immer wichtiger".

(Moderation zum NGO-Internet-Fiesta/ Workshop 2, 1999)

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Einige wenige Worte eines Moderators in einem der ORF-Radioprogramme 
informierten uns, dass Helmut Waldert, einer der wenigen couragierten 
Rundfunkjournalisten des ORF am 16.8. Wien gestorben ist. Dies wurde durch 
die "sanft-alternative" Sendung "Kautzen" ergänzt - anstatt einer seiner 
globalisierungs- und gesellschaftskritischen Beiträge.

Ich war mit Helmut Waldert seit vielen Jahren durch Treffen bei den 
verschiedensten alternativen Veranstaltungen und ähnlichem freundschaftlich 
verbunden. Seine Radiosendungen und Beiträge bei Veranstaltungen waren für 
uns alle in unserem Engagement für tiefgreifende gewaltfreie Veränderungen 
unverzichtbar. Besonders engagierte er sich für globalisierungskritische 
Themen und für Alternativen - vor allem zur herrschenden Geldwirtschaft. 
(Eine Liste der Sendungen und Publikationen findet ihr unten.)

Er hatte mir auch öfters über seinen - in den letzten Jahren sich 
zuspitzenden - Kampf gegen den wachsenden Einfluß der Neoliberalen im ORF 
und über ein verstärktes Mobbing erzählt. Wir überlegten schon, wie wir ihn 
durch Solidaritätsaktionen unterstützen könnten.

Vor allem sein Status als "Freier Mitarbeiter im ORF-Hörfunk" seit ca. 1975 
war entscheidend für seine Situation. Mit eingeschriebenem Brief erhielt er 
die Kündigung seines (befristeten) "Freien-Mitarbeiter-Vertrags" und musste 
auf Befehl seiner - als sozialliberal geltenden Vorgesetzten - mit 1. 
August 2003 seinen Arbeitsplatz im ORF räumen. Helmut klagte dagegen beim 
Arbeitsgericht und auf Anstellung. Er wollte nicht bei erstbester 
Gelegenheit in die Frühpension abgeschoben werden, sondern - unterstützt 
von vielen Kollegen und Kolleginnen - weiterarbeiten Das wird ihm wohl 
zusätzlich Kräfte geraubt haben.

Sein Herzinfarkt am Montag, 16.8. Vormittag, bewahrte ihn vor einer 
weiteren nervenaufreibenden Arbeitsgerichtsverhandlung. Er wird am Freitag 
den 27. August 2004 um 12.00 im Friedhof Jedlesee, Wien, 21. Bezirk, 
Audorfgasse 47, begraben.

Sein Tod im Alter von 62 Jahren - wir sind gleichaltrig - hat nicht nur 
mich betroffen gemacht. Das Engagement für unsere gemeinsamen Ziele - trotz 
aller Schwierigkeiten - ist wohl die beste Form, seine Pionierarbeit 
fortzusetzen.

Zur prekären Situation vieler ORF-Mitarbeiter

Wie Helmut Waldert mir und an deren Freunden in den letzten Jahren 
erklärte, haben sich die Arbeitsbedingungen von ORF-Mitarbeitern generell 
verschlechtert. Zunehmend wurden viele von ihnen in den ungesicherten 
Sektor "Freie Mitarbeiter" abgedrängt. Dass diese wesentlich leichter unter 
Druck gesetzt werden können (z.B. durch Reduktion ihrer Aufträge, 
weitergereichte Kritik und Druck einflußreicher Personen und Institutionen) 
ist offensichtlich. Ähnlich wie in der Privatwirtschaft setzt sich das 
neoliberale Prinzip "Hire and Fire" immer mehr durch. Gerade Helmut, der 
als Unbeugsamer deswegen als "schwierig" galt, gab wegen seiner sozial-, 
wirtschafts- und finanzkritischen Sendungen (er hat an die 1000 Sendungen 
und Veranstaltungen moderiert bzw. sie gestaltet) eine willkommene 
Zielscheibe für Interventionen ab.

Zu denken gibt mir auch die allgemeine Situation von (Rundfunk- und 
Presse-)Journalisten, von denen die meisten keine existenzsichernde 
Alternativen (in privaten bzw. alternativen Medien) finden und daher einen 
Job in einem anderen Beruf suchen müssen. (Auch unser junger Freund Manfred 
Madlberger, zeitweise Moderator bei regionalen kommerziellen Privat- und 
Freien Radios und ehrenamtlich unser Karikaturist, ist ökonomisch völlig 
ungesichert.) Das sollten v.a. jene in globalisierungskritischen und 
ähnlichen Bewegungen bedenken, die vom riskanten Engagement der wenigen 
mutigen Medienleute profitieren. Es geht nicht allein um eine unabhängige 
finanzielle "Grundsicherung" sondern auch darum, die Möglichkeiten zu 
schaffen, weiter effizient und unzensuriert zu publizieren!

Übrigens, bei der ORF-Anrufsendung "Von Tag zu Tag" (die auch Helmut 
fallweise moderierte) ist es seit einiger Zeit für bestimmte kritische 
Anrufer (inklusive mich) fast nicht möglich, telefonisch durchzukommen. 
Ähnlich Betroffene vermuten, dass ein automatisierter Filter in der 
Telefonanlage, bestimmte Nummern abblockt. Vor Jahren passierte es noch, 
dass eine Frau, die die Anrufe weiterleitete ihr Ablocken ehrlich 
begründete: die Kombination Waldert - Reichl sei zu brisant. Umso mehr 
freue ich mich, dass weniger bekannte Anrufer ähnlich unbequeme Fragen und 
Kommentare transportieren. Was ist aus all den ermunternden Sendungen - die 
u.a. der Helmut gestaltete - geworden?

Auch meine Erfahrung ist, dass auch uns immer öfter die Luft (und die 
Spucke) wegbleibt angesichts der wachsenden Bedrohungen im Großen gepaart 
mit nervtötenden Kleinlichkeiten des Überlebenskampfes im Alltag.

Umso wichtiger ist diese Art einer zivilen, persönlichen und 
gemeinschaftlichen "Luft- (und Aktions-) Raumverteidigung" !

Matthias Reichl

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Drei betroffene Stimmen - unter vielen anderen:

"...So habe ich soeben erst von Helmut Walderts Tod erfahren und bin sehr 
erschüttert. Auch ich war seit vielen Jahren freundschaftlich mit ihm 
verbunden. Erst vor nicht allzu langer Zeit sassen wir gemeinsam am Podium 
bei attac. Noch in den vergangenen Wochen habe ich ihn und seine Frau 
öfters im 1 Bezirk getroffen und erschrocken festgestellt, daß es ihm 
zunehmend schlechter ging. Er litt an einem schweren Asthma und manchmal 
fiel es ihm gar nicht leicht auch nur zu sprechen. Akut wurde das Asthma 
mit seiner Kündigung im ORF, sie haben ich tatsächlich die Luft zum Leben 
abgeschnitten. Daß er einen Herztod erlitt, wundert mich nicht, Lunge und 
Herz gehören zusammen. Ich bin sehr traurig..."

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"Der bekannte Journalist und alter Freund ist einem Herzinfarkt erlegen. 
Waldert war einer der letzten globalisierungskritischen unbequemen 
Journalisten im ORF-Hörfunk. Als einer jener, die Helmut gut kannten und 
mit ihm auch immer wieder zusammen gearbeitet haben, tun mir vor allem die 
Umstände weh, unter denen es passierte.

Helmut war ein Querkopf. Ein kritischer Geist, der alle Themen gegen den 
Strich gebürstet hat. Er hat die Auseinandersetzung gesucht, aber oft hat 
er im ORF keine Widerparts gefunden, sondern den üblichen Intrigenfilz. 
Dieser Filz, der auf den unglaublich prekären Arbeitsverhältnissen der 
ORF-JournalistInnen wächst, und die deutlich gestiegene Abneigung des ORF, 
globalisierungskritisches Material zu senden ... hat ihm letzten Endes ein 
beispielloses Mobbing und den Rauswurf beschert. Nicht, dass er sich in 
dieser Situation immer geschickt verhalten hätte, aber wer hätte das schon 
unter solchem Druck, und nichts davon ist eine Entschuldigung für das, was 
man ihm im ORF angetan hat. Diesen Rauswurf hat er nicht verwunden. Leider 
ist Helmut Waldert damit ein Beispiel geworden, wie bei uns 
globalisierungskritische JournalistInnen "mundtot" gemacht werden. Leider 
ein sehr tragisches."

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Ein Spezialist für politische Songs aus den USA dazu:

Kennst du das Lied "It could have been me" von Holly Near (Ausschnitt)?

It could have been me

But instead it was you

So I'll keep doing the work you were doing

As if I were two

I'll be a student of life

A singer of songs

A farmer of foods

And a righter of wrongs

It could have been me

But instead it was you

And it may be me, dear sisters and brothers

Before we are through

But if you can fight for freedom

Freedom, freedom, freedom

If you can fight for freedom

I can, too.

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Einige der journalistischen Arbeiten von Helmut Waldert:

GELD MACHT WERTE, 6-teilige Sendereihe des "Radiokolleg" plus Audio-CD u.a. 
zu den Problemen und ökologischen Auswirkungen unseres Geld- und 
Zins-Systems (ORF 2003)

Das PPP Prinzip: Öffentliche Dienstleistungen im freien Markt (ORF 2002)

Banken: die großen Räder in der Geldmaschine (ORF 2002)

Der Erfolg liegt immer vorne: eine Expedition in die Wachstumsbranche der 
Coachings und Trainings (ORF 2001)

Diagnose: Der Extremismus des Geldes.Therapie: Die Re-Regulierung der 
Finanzmärkte (ORF 2001)

Wie die Häuser Zukunft lernen. Das Experimentierfeld der Öko-Häuser (ORF 2001)

Wenn das Wasser im Eimer ist: Die Verknappung eines Umweltmediums und 
Lebensmittels (ORF 2000)

Eine Region ist (k)ein Unternehmen. Die schwierige Inszenierung von 
Regionalentwicklungen (ORF 2000)

Arbeitszeit. Grauzone der Solidarität (ORF 2000)

Geld Macht Werte. Internationale Finanzwirtschaft- die unersättliche 
Ökonomie (ORF 1999)

Geld Macht Werte. Der alltägliche Umgang mit Geld (ORF 1999)

Geld Macht Werte. Strategien für ein Leben ohne Geld und Zinsen (ORF 1999)

Energische Energiepolitik. Die skandinavischen Energiepioniere im Vergleich 
mit Österreich (ORF 1999)

Die Mitarbeiter-Unternehmer: Selbstverwaltete Betriebe (ORF 1998)

Erneuerbare Energie (ORF 1997)

Grundeinkommen für Alle? oder: was kommt nach dem Sozialstaat? (ORF 1997)

Geld frißt Welt (ORF 1996)

Buch: "Gründungen: Starke Projekte in schwachen Regionen", 1992, Falter-Verlag.

Von 1979 bis 1983 Herausgabe der 14-tägigen Publikation "Nachrichten und 
Stellungnahmen der KSÖ (Katholische Sozialakademie Österreichs)"

Broschüre: Verantwortete Zukunft - mit oder ohne Atomenergie (1980)

Broschüre: Der Vatikan zur Rüstung. Ein Weg aus der Gefahr der 
Selbstvernichtung der Völker (1979)

(Zusammenstellung: ÖKOWEB, www.oekoweb.at)


Nachwort

von Helmut Waldert

(aus dem Jahr 1979)

Von der Zeit des Wettrüstens kann man sagen,

daß die Menschen nicht wissen, wie spät es eigentlich ist.

Manche sagen, es ist schon viel später.

Viele sagen, so spät ist es noch gar nicht.

Nötig ist also ein Zeitvergleich.


Apparate, die die Zeit anzeigen, sagen,

was jetzt für eine Zeit ist.

Aber sie zeigen auch an, wie spät es sein wird.

Mit ihnen kann man die Zukunft an der Gegenwart ablesen.

Sie haben eine prophetische Dimension.


Das Vatikanische Dokument (gegen die Rüstung, M.R.) ist mit diesen 
Apparaten zu vergleichen.

Der Vergleich ist nötig,

weil man zwar den Zeitapparaten glaubt, nicht aber den Propheten.

Man glaubt ihnen nachher, wenn es zu spät ist.

Denn von der Zeit des Wettrüstens kann man sagen,

daß die Menschen nicht wissen, wie spät es eigentlich ist.

(Aus: "Der Vatikan zur Rüstung", 1979, S. 73)

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Matthias Reichl
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