[E-rundbrief] Info 125 - Uri Avnery: Richter in Den Haag; Gila Svirsky: Thank you...

Matthias Reichl mareichl at ping.at
Mi Jul 14 23:21:27 CEST 2004


E-Rundbrief - Info 125 - Uri Avnery: Es gibt Richter in Den Haag; Gila 
Svirsky: Thank you, your honors - Eine Schandmauer trennt Palästinenser von 
Israel

Bad Ischl, 14.7.2004

Begegnungszentrum für aktive Gewaltlosigkeit

www.begegnungszentrum.at

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Jedem, der an der geplanten Route der Mauer entlang fährt, fällt sofort ein 
Aspekt auf: der Verlauf der Mauer wurde ohne die geringste Rücksicht auf 
das Leben der dort lebenden palästinensischen Menschen bestimmt. Die Mauer 
trifft sie so, wie eine Ameise, die achtlos zertreten wird. Die Bauern 
werden von ihren Feldern getrennt, die Arbeiter von ihren Arbeitsplätzen, 
Schüler von ihren Schulen, kranke Leute vom Krankenhaus, die Trauernden von 
den Gräbern ihrer Angehörigen.

Es gibt Richter in Den Haag

Uri Avnery

Haaretz, eine der israelischen Zeitungen, bringt die beiden Begebenheiten 
auf ihrer Titelseite: den hundertsten Todestag von Theodor Herzl, dem 
Gründer der modernen zionistischen Bewegung, und das Urteil des 
Internationalen Gerichtshofes ( ICJ), der den israelischen Trennungswall 
für illegal erklärte.
Die Verbindung zwischen beiden scheint zufällig. Welche Verbindung könnte 
zwischen dem Gedenken eines historischen Datums und dem letzten aktuellen 
Geschehen möglich sein?

Doch da gibt es eine Verbindung. Sie ist in einem von Herzl geschriebenen 
Satz in „Der Judenstaat" enthalten, dem Buch, das zum Eckstein des 
Zionismus wurde.
Er lautet: „Dort (in Palästina) werden wir ein Stück des Walles gegen Asien 
bilden, wir würden den Vorpostendienst der Kultur gegen die Barbarei besorgen."

Dieser Satz könnte sogar heute geschrieben sein. Amerikanische Denker reden 
vom „Zusammenstoß der Zivilisationen", der westlichen „judeo-christlichen" 
Kultur, die auf die „islamische Barbarei" stößt. Amerikanische Führer 
erklären, dass Israel der Vorposten der westlichen Zivilisation im Kampf 
gegen den arabisch-muslimischen „internationalen Terrorismus" sei. Zu 
diesem Zweck baut Sharon eine Mauer (so wird gesagt), um Israel vor dem 
palästinensisch-arabischen Terror zu schützen. Man erklärt bei jeder 
Gelegenheit, dass der Kampf gegen den „palästinensischen Terrorismus" ein 
Teil des Kampfes gegen den „internationalen Terrorismus" sei. Die 
Amerikaner unterstützen die israelische Mauer mit ganzem Herzen und mit 
ihrem Geld.

Selbst der halboffizielle Name der Barriere – „Trennungszaun" – betont 
diese Tendenz. Die Absicht ist, zwischen Nationen, zwischen Zivilisationen 
und tatsächlich zwischen der Kultur (der unsrigen) und der Barbarei (der 
ihrigen) zu trennen.

Dies sind profunde ideologische, meist unbewusste Gründe, um die Mauer zu 
bauen. Oberflächlich betrachtet, scheint es eine praktische Antwort auf 
eine wirkliche und gegenwärtige Gefahr zu sein. Ein gewöhnlicher Israeli 
wird sagen: „Bist du verrückt? Wovon sprichst du eigentlich? Was hat das 
mit Herzl zu tun? Er starb vor hundert Jahren!" Aber es gibt tatsächlich 
eine direkte Verbindung.

Dies trifft auch auf einen anderen Aspekt der Mauer zu. Zu Herzls Zeit 
wurde ein Satz geprägt, der zum Slogan der frühen zionistischen Bewegung 
wurde: „ Ein Land ohne Volk für ein Volk ohne Land." Mit anderen Worten: 
Palästina ist ein leeres Land.

Jedem, der an der geplanten Route der Mauer entlang fährt, fällt sofort ein 
Aspekt auf: der Verlauf der Mauer wurde ohne die geringste Rücksicht auf 
das Leben der dort lebenden palästinensischen Menschen bestimmt. Die Mauer 
trifft sie so, wie eine Ameise, die achtlos zertreten wird. Die Bauern 
werden von ihren Feldern getrennt, die Arbeiter von ihren Arbeitsplätzen, 
Schüler von ihren Schulen, kranke Leute vom Krankenhaus, die Trauernden von 
den Gräbern ihrer Angehörigen.

Man kann sich gut vorstellen, wie sich Militärs und Siedler über eine 
Landkarte beugen und den Verlauf der Mauer planen – als ob es eine leere 
Landschaft wäre mit nichts außer Siedlungen, Armeebasen und Landstraßen. 
Sie argumentieren über die Topographie, taktische Erwägungen und 
strategische Ziele. Palästinenser? Was für Palästinenser?

Der israelische Oberste Gerichtshof, der letzte Woche seine Entscheidung 
getroffen hat, konzentrierte sich vor allem auf diesen Punkt. Er bestritt 
nicht die Erklärungen der Generäle, dass die Mauer notwendig sei. Wenn die 
Generäle das sagen, steht das Gericht in Habachtstellung und salutiert Das 
Gericht hat auch nicht entschieden, dass die Mauer auf der Grünen Linie, 
der international anerkannten Grenze zwischen Israel und den 1967 besetzten 
Gebieten gebaut werden solle – übrigens wäre es auch die kürzeste und am 
leichtesten zu verteidigende Route. Es erkannte aber die Tatsache an, dass 
diese Gebiete von palästinensischer Bevölkerung bewohnt sind, und 
verlangte, dass ihre menschlichen Bedürfnisse berücksichtigt werden müssten.

Während der vergangenen Woche wurde klar, dass die Armee bereit ist, einige 
Korrekturen am Verlauf der Mauer zu machen, aber nicht die Grundkonzeption 
zu ändern. Die korrigierte Route schafft für die Palästinenser immer noch 
Enklaven und begrenzt ihre Bewegungsfreiheit, wenn auch weniger als vorher. 
Einige der Bauern werden wieder mit ihrem Land verbunden werden. Mehr nicht.

Nun kommt der Internationale Gerichtshof und verkündet Prinzipien, die den 
israelischen Friedenskräften, die gegen die Mauer demonstrierten, viel 
näher stehen. Er sagt, dass die Mauer selbst illegal sei, außer dort, wo 
sie an der Grünen Linie entlang geht. Alle innerhalb der besetzten Gebiete 
gebauten Abschnitte verletzen das internationale Gesetz sowie die 
Konventionen und Abkommen, die von Israel unterzeichnet wurden.

Der Gerichtshof sagt, dass diese Abschnitte der Mauer entfernt, die 
Situation wieder wie zuvor hergestellt und die Palästinenser für den ihnen 
zugefügten Schaden entschädigt werden müssen. Alle Staaten der Welt werden 
dazu aufgerufen, sich jeder Hilfe für den Mauerbau zu enthalten.

Wird dies irgendeine Wirkung auf die Meinung der israelischen 
Öffentlichkeit haben? Ich fürchte, nein. Während der letzten Monate 
bereitete die offizielle Propagandamaschine die Öffentlichkeit auf diesen 
Tag vor. Sie ließ verlauten, die Richter des Internationalen Gerichtshofs 
seien Antisemiten, es sei ja wohl bekannt, dass alle Nationen, außer den 
USA, den jüdischen Staat zerstören wollten. Vor ein paar Jahren gab es ein 
lustiges Lied: „Alle Welt ist gegen uns, aber was kümmert uns das?" Sollen 
sie zur Hölle gehen!

Wird dies irgendeine Wirkung auf die öffentliche Meinung der Welt haben? 
Wahrscheinlich, obwohl die „beratende Stellungnahme" des Gerichtshofes 
nicht bindend ist, und der Gerichtshof keine Armee oder Polizei hat, um 
seine Entscheidungen durchzusetzen. Es hat keinen Zweck, diese dem 
Sicherheitsrat zu unterbreiten, wo sie automatisch von einem amerikanischen 
Veto abgeschossen werden. Jederzeit und erst recht kurz vor den Wahlen wird 
eine amerikanische Regierung es sehr ungern tun, die pro-israelische Lobby 
- die jüdische sowieso - und die christlich-fundamentalistische zu 
verärgern. Die USA wird den Gerichtshof ignorieren und die Mauer weiter 
finanzieren.

Aber in der veto-freien UN –Vollversammlung wird es eine ausführliche 
Debatte geben, die die Scheinwerfer auf die wirkliche Natur der Mauer 
werfen wird. Der Propagandamaschine der Sharon-Regierung, die von den 
meisten Medien der Welt unterstützt und begünstigt wurde, ist es gelungen, 
die Mauer als notwendiges Mittel zur Verhinderung von Selbstmordattentaten 
innerhalb Israels darzustellen. Die Debatte innerhalb der Vollversammlung 
kann helfen, dass viele den wirklichen Zweck des Monsters veröffentlichen.

Einen Tag vor dem Urteil des IJC war ich in einem großen Zelt in A-Ram, 
nördlich von Jerusalem, einer Stadt, die eines der Hauptopfer der Mauer 
ist. Dort fand ein Hungerstreik von Palästinensern und Israelis gegen die 
Mauer statt. Der Ort zog Pilger von überall im Lande an.
Im Zelt fand die Weltpremiere eines Films statt. Seine Regisseurin Simone 
Bitton, eine Israelin nordafrikanischer Herkunft, die in Paris lebt, zeigte 
die Mauer, wie sie tatsächlich ist.

Im Film berichten Palästinenser, was die Mauer ihnen angetan hat. Ein 
jüdischer Kibbuzbewohner sagt, dass sie für Israel ein Unglück sei, für das 
wir selbst verantwortlich seien. Der Direktor des 
Verteidigungsministeriums, General Amos Yaron (der von seinem Armeeposten 
von der Kahan –Untersuchungskommission entlassen wurde, weil er in die 
Sabra- und Shatila-Affäre verwickelt war) erklärt, dass die Palästinenser 
selbst an ihrem Leiden schuld seien. Wenn sie nicht gegen die Besatzung 
Widerstand leisten würden, dann wäre auch die Mauer nicht nötig.

Die bewegendste Szene war rein visuell, eine Sequenz ohne Worte. Man sieht 
grüne Felder und Olivenhaine, die sich bis zum Horizont erstrecken - 
dazwischen ein paar Dörfer mit ihren schlanken Minaretten. Ein riesiger 
Kran zieht eine mächtige Betonplatte hoch und setzt sie an ihren Platz in 
der Mauer. Sie deckt nun einen Teil der Landschaft zu. Eine zweite 
Betonplatte verdeckt noch mehr der Landschaft, eine dritte Betonplatte 
deckt sie völlig zu. Dabei wird einem klar, dass direkt vor den eigenen 
Augen noch ein Dorf auf immer vom Leben abgeschnitten wurde – durch die 8 
Meter hohe Mauer, die das Dorf von allen Seiten einschließt.

Im selben Augenblick blitzte mir ein Gedanke durch den Kopf: derselbe Kran, 
der jetzt die Platten setzt, kann sie schließlich auch wieder entfernen. So 
geschah es in Deutschland. Es wird auch hier geschehen. Die Entscheidung 
der Richter in Den Haag, die aus 15 verschiedenen Ländern kommen, haben 
ihren Beitrag geleistet.

Vielleicht ist es eine Ironie der Geschichte: die Richter, die die 
europäische Kultur vertreten, fordern, dass die Mauer entfernt wird. Wenn 
Herzl dies miterlebt hätte, würde er sich sehr gewundert haben.

(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)
[]


http://www.uri-avnery.de
erstellt am 10.07.2004

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From: Gila Svirsky
Sent: Saturday, July 10, 2004 11:26 AM
Subject: Thank you, your honors

Friends, this brief op-ed is more formal than I usually write, in an effort 
to clarify to a wider audience what is actually wrong with the so-called 
'security fence'.  Please feel free to circulate further.  Gila

Thank You, Your Honors

Gila Svirsky

In a carefully reasoned but unequivocal decision, the International Court 
of Justice in the Hague did the expected:  It found that Israel's 
construction of its security wall inside Palestinian territory is illegal 
according to international law.

As an Israeli deeply concerned about the security of my country, and a Jew 
deeply concerned about the moral implications of building this barrier, I 
applaud this decision.

Israel's security claims in favor of the wall are seriously flawed:  As it 
is now being constructed, the wall does not follow the 1967 border, but 
rather reaches deep into Palestinian land, a route that will ultimately 
leave hundreds of thousands of Palestinians on the Israeli side.  How will 
this prevent Palestinian suicide bombers from entering Israel?

On humanitarian grounds, the wall is unconscionable.  It prevents 
Palestinian access to farmland, schools, hospitals and jobs.  Picture your 
children having to wait at the wall twice a day for soldiers to show up and 
unlock the gate, allowing them to get to and from school.  Picture the 
farmer who made a living from his olive trees, which are now inaccessible 
or have been felled to make way for construction.  Imagine that you 
suddenly need to see a doctor, but have no permit to get through.  Imagine 
that you simply want to visit your elderly mother, but the wall now comes 
between you.  According to B'Tselem, the Israeli human rights organization, 
when the wall is complete, some 38% of Palestinians will find their lives 
disrupted and their livelihoods discontinued.

The presence of the wall is not only cruel to Palestinians; it will 
ultimately harm Israeli security as well, as it intensifies the bitterness 
and hatred directed toward us.  Is this the security that the wall will 
provide?

Unlike Palestinians who can hardly avoid it, most Israelis have never even 
seen the wall; it is built inside Palestinian territory, where only Israeli 
settlers (and the soldiers sent to protect them) now venture.  If other 
Israelis saw it, I hope they would be shocked.  In several places, the wall 
does not simply wend through Palestinian towns, it actually surrounds them 
entirely, penning the residents inside - their right to enter or leave left 
to the whim of young soldiers guarding the gate.

In these localities, civilian populations are now entirely encircled by a 
30-foot-high, gray concrete battlement interrupted only by watchtowers from 
where soldiers train binoculars and automatic rifles on the residents below.

Lights mounted on the wall shine down into the streets, making constant 
surveillance that much easier.  As a Jew whose ancestors were confined to 
ghettoes during anti-Semitic periods of history, I find this 
horrifying.  Will keeping 100,000 Palestinians penned in ghettoes and 
enclaves serve the security needs of Israel?  Did forcing Jews into the 
ghettoes of Europe serve the security needs of those countries?

Last week, the Israeli Supreme Court acknowledged the grave violations of 
Palestinian human rights resulting from the wall, and ordered the army to 
reroute it in specific locations.  While our government is hoping that this 
Israeli court ruling will make it possible for Israel to ignore the Hague 
tribunal - on the grounds that "the wall is an internal security matter 
that we are dealing with" - most Israeli peace activists do not 
agree.  Construction of the wall within Occupied Territory - meaning on 
somebody else's property - is a violation of basic rights, no matter how 
you look at it.  And claims that the wall provides security are undercut by 
the large numbers of Palestinians who will remain on the "Israeli" side.

Ultimately, the best way for my country to achieve security is to negotiate 
peace with the Palestinians, and sufficiently improve the lives on both 
sides so that there is a vested interest in maintaining the peace.  The 
wall, however, does just the opposite.  As a result, it is not only bad for 
Palestine, but bad for Israel too.

A few days ago, I watched an old Palestinian woman surveying with dismay 
her family's olive trees that the army had cut down, shaving a swath on 
which the wall will rise.  "Those stupid people," she said, careful not to 
name them, "If not for their stupidity, we could have lived in peace with 
each other."

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Gila Svirsky is a peace and human rights activist in Jerusalem.

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Coalition of Women for Peace:
http://www.coalitionofwomen4peace.org

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Matthias Reichl
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