[E-rundbrief] Info 121 - Claudia von Werlhof: GATS-Enteignungsplan, Rede zum 2. ASF, Linz

Matthias Reichl mareichl at ping.at
Mo Jun 14 14:50:31 CEST 2004


E-Rundbrief - Info 121 -  Claudia von Werlhof: GATS - Enteignungsplan gegen 
diesen Globus, Rede für die Demonstration des 2. Österreichischen 
Sozialforums, 4.6.2004 Linz; Offener Brief an die Vorbereitungsgruppe des 
2. Österreichischen Sozialforums in Linz, 13.6.2004

Bad Ischl, 14.6.2004

Begegnungszentrum für aktive Gewaltlosigkeit

www.begegnungszentrum.at

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GATS - Enteignungsplan gegen diesen Globus

Rede für die Demonstration des 2. Österreichischen Sozialforums, 4.6.2004 Linz

Claudia von Werlhof

Wir haben die Projekte der Globalisierung nun lange genug analysiert und 
kritisiert. Wir haben uns in aller Welt getroffen, jahrelang.
Jetzt muss eine neue Phase beginnen, eine des konsequenten Handelns. Denn 
eine andere Welt ist nicht nur möglich, sie ist auch dringend nötig. Ja, 
sie kann nur geschaffen werden, wenn wir jetzt, genau jetzt damit beginnen 
- indem die Bewegung von einer "an sich" zu einer Bewegung "für sich" wird.

Paradoxerweise ist es ausgerechnet das GATS, das Dienstleistungsabkommen 
der WTO, das uns zeigt, wo es lang geht. Denn das GATS ist die Lizenz für 
einen allgemeinen Privatisierungs- und has heißt Enteignungsplan gegen 
diesen Globus. Bei diesem Plünderungs-Projekt soll nichts ausgelassen 
werden: kein Fleckchen Erde, kein Tier, kein Baum, der Boden nicht, das 
Wasser nicht, das Wetter nicht, ja, die Luft  unser Äußeres nicht und unser 
Inneres nicht, unsere Vergangenheit nicht und am wenigsten unsere Zukunft!

GATS will auf dem Globus mit allem, was da kreucht und fleucht, endgültig 
das big business machen, das große, das letzte Geschäft der  Konzerne.

Das bedeutet, dass nicht leben wird, wer kein Geld hat, und dass nicht 
leben wird, wer oder was in die Transformationsmaschine der 
Kapitalverwertung gerät. Die Verwandlung in Kapital ist nicht gut für das 
Leben. Es geht dabei drauf. Denn Kapital besteht aus vergangener, toter 
Arbeit, aus getötetem Leben.

Das ist zwar nicht neu,  aber jetzt geht es ans Eingemachte, an die 
Grundlagen unserer Existenz selbst.

Das Ergebnis wäre: die tatsächliche Liquidierung der Erde  im wahrsten 
Sinne des Wortes  ihre Verflüssigung zu Geld- und Kapitalströmen!

Fest steht: eine Globalisierung, die mit sichtbaren und unsichtbaren 
Kriegen wie dem GATS daher kommt, können wir nicht wollen. Wir müssen also 
etwas unternehmen, um diesen Prozess zu stoppen, ja, umzukehren  und zwar 
überall und auf allen Ebenen.
GATS ist die Aufforderung, es nicht nur nicht zuzulassen, sondern endlich 
auch mit dem Gegenteil, den Alternativen zu beginnen.
GATS zielt nämlich auf genau das, was wir brauchen, um eine andere Welt 
aufzubauen - die Erde und das Leben.

Es gibt nur zwei Möglichkeiten: entweder die Erde wird privatisiert, oder 
wir bauen auf und mit ihr eine neue gemeinsame Welt, unsere "Gemeinheit", 
eine Art globale Allmende!

GATS hat daher ungewollt auch etwas Gutes. Es beseitigt auf radikale Weise 
alle Unklarheiten darüber, worum es wirklich geht. Es zwingt uns nachgerade 
in die Alternative, denn mit GATS gibt es keine Alternative zur Alternative.
GATS lässt uns keine Wahl:

Ob wir wollen oder nicht,

-       wir haben uns der Zerstörungsarbeit an der Erde und zur 
Kapitalverwertung zu verweigern

-       wir haben stattdessen eine Aufbau- und Wiedergutmachungsarbeit zu 
organisieren und zu unternehmen

-       wir haben die Privatisierung der Böden, Wälder, Gewässer und 
Landschaften  zu verhindern

-       wir haben sie stattdessen wieder in Besitz zu nehmen, uns im 
wahrsten Sinne des Wortes darauf zu setzen, damit ihnen nichts mehr 
geschehen kann

-       wir haben sie zu pflegen, zu liebkosen und zu umarmen


-       wir haben in aller Welt Bäume zu pflanzen  massenweise


-       wir haben durchzusetzen, dass man Motorsägen für das Bäumefällen 
verbietet!

-       wir haben in unseren Gemeinden dafür zu sorgen:

-       dass die Korruption im Zusammenhang mit Privatisierungen aufgedeckt 
wird, dass cross-boarder-leasing-Geschäfte und 
public-private-partnership-Projekte zur Finanzierung von Privatisierungen 
mit unseren Steuergeldern sowie die Privatisierungsprojekte selbst weder 
beschlossen, noch vorbereitet, geschweige denn durchgeführt werden können

-       ja, wir haben auch dafür zu sorgen, dass die bereits durchgeführten 
Privatisierungen rückgängig gemacht werden!

-       wir haben insbesondere die Beschädigung der Wasserkreisläufe 
überall auf der Welt zu verhindern

-       wir haben dafür zu sorgen, dass nirgendwo mehr das geistige 
Eigentum der Völker gestohlen werden kann!

-       wir haben überall mit einer biologischen Landwirtschaft zu beginnen 
und Bauern und Farmer davon abzubringen, das Land weiterhin mit 
Monokulturen, Giften und Maschinen zu töten

-       wir haben dafür zu sorgen, dass gen-modifizierte Arten nirgendwo 
mehr angebaut werden können, weder heimlich noch "un-heimlich"

-       wir haben Lebensmittel zu boykottieren, die genetisch verändert 
sind, und sei es nur im Milligrammbereich

-       wir haben den Konsum von Waren zu unterlassen, die in freien 
Produktionszonen in "hausfrauisierter" Sklaven- und Kinderarbeit 
hergestellt wurden

-       wir haben ganz allgemein damit anzufangen, für unsere 
Lebensbedürfnisse selbst zu sorgen und um die dafür nötigen 
Produktionsmittel überhaupt erst einmal zu kämpfen  anstatt sie den 
Konzernen zu überlassen!

-       wir haben entsprechend auch dafür zu sorgen, dass die Bevölkerungen 
im Süden ihre Produktionsmittel ebenfalls für sich selber  anstatt in nach 
wie vor kolonialer Manier  für uns -  nutzen können

-       wir haben uns lokal und regional zu organisieren, wo auch immer wir 
leben, um damit zu beginnen, eine neue Wirtschaft, eine neue Lebensform und 
eine neue Kultur aufzubauen, in der wir untereinander und mit der äußeren 
Natur kooperieren: unser Leben kann nur egalitär, herrschaftsfrei, 
ausbeutungsfrei und ohne Unterdrückung organisiert sein. Wir haben das 
Geschlechterverhältnis zu revolutionieren, Alte und Kinder nicht mehr zu 
vernachlässigen, Tiere und Pflanzen zu respektieren und uns endlich 
verantwortlich zu fühlen für das, was auf dieser Erde stattfindet!

-       wir haben uns klarzumachen, dass wir, ob wir wollen oder nicht, an 
zwei Fronten stehen: an der einen müssen wir uns wehren, an der anderen 
eine neue Welt aufbauen


-       insbesondere müssen wir endlich akzeptieren, dass wir ohne die 
lebendige Natur und ihre immensen Kräfte überhaupt nichts werden erreichen 
können. Im Gegenteil  ohne sie werden wir sterben. Deshalb müssen wir jetzt 
anfangen und nicht erst dann, wenn auch der Kongo noch abgeholzt wurde, und 
der Klimawandel aus der Erde eine Salzwüste gemacht hat!

-       die Zeit ist jetzt! Die Konzerne oder wir! Kapital oder Leib  Geld 
oder Leben!

-       viele von uns in der ganzen Welt, im Süden wie im Norden sind 
längst dabei, die andere Welt zu schaffen. Schließen wir uns ihnen an! 
Lernen wir von ihnen. Multiplizieren wir ihre und unsere Erfahrungen! Es 
reichen 10%, um den Wahnsinn zu kippen. Diese "kritische Masse" könnten wir 
erreichen. Ja, es ist womöglich das einzige, was wir überhaupt erreichen 
können!

-       dass andere bei der Globalisierung immer noch mitmachen, dass sie 
immer wieder Kompromisse schließen, dass sie sich besänftigen, dass sie 
sich spalten, dass sie sich kaufen lassen - das führt nirgendwo hin, es ist 
zum Scheitern verurteilt, es geht gerade nicht! Verschwenden wir also nicht 
unsere Kräfte an der falschen Stelle, sondern sehen wir uns um, und 
krempeln wir uns endlich die Ärmel hoch!

-       genau davor, dass wir das kapieren, dass wir nicht ohnmächtig sind, 
davor haben die Konzerne und Regierungen Angst! Nicht wir brauchen Angst zu 
haben. Sie sind es, die uns nichts mehr entgegenzusetzen haben. Sie sind 
es, die ihre Projekte des Krieges gegen Mensch und Natur nicht 
rechtfertigen können. Sie sind es, die deshalb Abkommen wie das GATS oder 
die wahren neoliberal-totalitären und militaristischen, ja nuklearen 
Absichten hinter der EU-Verfassung verheimlichen müssen! Sie sind es, die 
Angst haben, dass wir sie durchschauen, dass wir vom Glauben an sie 
abfallen, und dass wir die Konsequenzen aus dem ziehen, was sie vorhaben! 
Die Wirtschaft und die Politik sind geistig und seelisch längst tot, und 
auch materiell stoßen sie inzwischen an ihre Grenzen  die des Globus! Ihre 
Zeit ist vorbei.

-       was tun? Diese Frage kann heute beantwortet werden. Denn: Wir haben 
einen Traum! Und deshalb müssen wirt jetzt sofort aufwachen, um zusammen 
mit Millionen anderer Menschen auf diesem Globus mit seiner Verwirklichung 
zu beginnen.

(Den Inhalt des angehängten P.S. zum gewaltsamen Abbruch ihrer Rede hat 
Claudia von Werlhof im folgenden "Offenen Brief" aktualisiert. M.R.)

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Prof. Dr. Claudia von Werlhof, Institut für Politikwissenschaft, 
Universität Innsbruck, Universitätsstr. 15, A-6020 Innsbruck

13.6.2004

  Offener Brief an die Vorbereitungsgruppe des 2. Österreichischen 
Sozialforums in Linz, Juni 2004

Sehr geehrte Damen und Herren!

Das "Feministische Forum" innerhalb der Vorbereitungsgruppe zum 2. 
Österreichischen Sozialforum in Linz im Juni 2004 hat mich am 19. Mai d. J. 
in seinem eigenen Namen und als Teil der Vorbereitungsgruppe insgesamt 
offiziell aufgefordert, auf der Demonstration des Sozialforums am 4.6.04 in 
Linz eine zehnminütige Rede zum Thema GATS zu halten.

Ich habe zugesagt, die Rede vorbereitet und bin am 4.6. (auf eigene Kosten) 
nach Linz gereist.

Als die Frauen des "Feministischen Forums" die Veranstalter der 
Demonstration fragten, wann und wo meine Rede gehalten werden sollte, 
erfuhren sie, dass ich gar nicht auf der Rednerliste stehen würde. Als die 
Frauen protestierten, wurde mir ein Satz als "Rede" genehmigt. Nach 
weiteren Protesten, bei denen die Frauen drohten, die Tribüne zu stürmen, 
wurden 5 Minuten Redezeit "genehmigt". Dabei wurde mit Peter Schissler von 
der Chemiearbeitergewerkschaft und Heinz Mittermayr von attac und der 
Katholischen ArbeitnehmerInnen - Bewegung, dem Moderator der Reden auf der 
Tribüne, "verhandelt".

Nur mit Mühe konnte ich anschließend die Tribüne erklimmen, weil der 
Moderator und eine Frau vom ÖGB dies bis zum letzten Moment verhindern 
wollten. Auch wurde inzwischen die Tribüne von  martialisch aussehenden 
Männern in gelben Schutzanzügen "gesichert".

Schließlich oben angekommen, erklärte der Moderator kurz, dass ich jetzt 
reden würde, ohne aber das Feministische Forum zu erwähnen.

Unter großem Stress versuchte ich, die Rede kürzend, möglichst viel davon 
"zu retten". Währenddessen stand der Moderator, aus mir unverständlichen 
Gründen die ganze Zeit vor Wut bebend, dicht neben mir.

Nach genau 5 Minuten, als ich beim letzten Drittel der Rede angekommen war, 
versuchte der Moderator, mir unter Anwendung physischer Gewalt das 
Mikrophon mitten im Satz zu entreißen. Unter den Buhrufen, Protesten und 
Pfiffen der Demonstranten, die offenbar die Rede zu Ende hören wollten, 
fand auf der Tribüne ein längeres Gerangel um das Mikrophon statt, das 
inzwischen ausgeschaltet worden war. (In dieser Zeit hätte die Rede längst 
beendet werden können).

Die Frau vom ÖGB hatte inzwischen Musik angeschaltet mit der Bemerkung, man 
sei eine friedliche und demokratische Organisation. Sie wollte damit sagen, 
dass ich mir unfriedlicher- und undemokratischerweise mehr Redezeit als 
andere hätte herausnehmen wollen. (Später hörte ich, dass es Reden bis zu 
15 Minuten Länge gegeben hätte, abgesehen davon, dass ich ja ursprünglich 
10 Minuten zugesagt bekommen hatte, und faktisch mit 6-7 Minuten 
ausgekommen wäre).

Schließlich wurde mir ein Satz zum Schluss "genehmigt", da ich ja mitten in 
der Rede unterbrochen worden war. Ich sagte daraufhin: "Wenn das hier ein 
Sozialforum sein soll, dann hat es  keine Zukunft!"

Anschließend verließ ich die Tribüne und mit dem Frauenblock und anderen 
Demonstranten die Veranstaltung.

Das ganze Ereignis wurde vom ORF aufgenommen. Verschiedene Radiosender 
interviewten mich noch auf dem Weg.

Die Frauen vom "Feministischen Forum" waren schockiert. Sie fühlten sich 
von den Organisatoren betrogen, zensiert und auch noch mit einem Gewaltakt 
gegen eine Frau konfrontiert  und das alles auf einem Sozialforum!

Um 18 Uhr gingen wir noch zum alltäglichen "Forum" des Sozialforums, bei 
dem die Dinge des Tages besprochen werden können. Dort war unter ca. 35 
TeilnehmerInnen auch der Moderator, aber sonst keiner der Verantwortlichen. 
Das Ereignis wurde auf Antrag des "Feministischen Forums" diskutiert. Der 
Moderator wollte zunächst nicht einsehen, dass sein Verhalten irgendein 
Problem darstellen könnte. Am Ende gab er mir gegenüber eine Art 
Entschuldigung ab, ohne aber darauf zu verzichten, mir gleichzeitig einen 
Teil der "Schuld" in die Schuhe schieben zu wollen. Er machte jedenfalls 
nicht den Eindruck, als ob die Diskussion irgendeine Erkenntnis bei ihm 
bewirkt hätte.

Fazit:

Ich erwarte von der Vorbereitungspruppe des 2. Österreichischen 
Sozialforums eine Erklärung darüber, wie es möglich ist, dass ausgerechnet 
bei einem Sozialforum, also einer Veranstaltung der 
zivilgesellschaftlichen  Bewegung gegen die sog. Globalisierung,

1.      "Organisationsmethoden" angewandt werden, wie man sie nur bei 
Rechtsextremen, Stalinisten oder Konzernveranstaltungen vermuten würde,

2.      eine  - noch dazu ältere - Frau  von einem Mann während der 
Ausübung seiner offiziellen Funktion körperlich bedroht werden kann,

3.      ein offiziell beschlossener Programmpunkt im Nachhinein und ohne 
Information der Betroffenen einfach abgesetzt werden kann,

4.      eine offensichtliche Zensur gegen unerwünschte Inhalte ausgeübt wird,

5.      ein altbekanntes und ebenso altgedientes Mitglied der 
(inter)nationalen Sozialforums- und Antiglobalisierungsbewegung wie ich zum 
1. Mal überhaupt eine derart unwürdige und verächtlich machende Behandlung 
erfährt.





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