[E-rundbrief] Info 100 - H.- E. Richter - Rede zum Jahrestag der Irak-Invasion

Matthias Reichl mareichl at ping.at
Di Mär 23 12:39:42 CET 2004


E-Rundbrief - Info 100 - Horst-Eberhard Richter: Rede an der US-Air-Base 
Ramstein (D) am 20.3. zum Jahrestag der Irak-Invasion

Bad Ischl, 23.3.2004

Begegnungszentrum für aktive Gewaltlosigkeit

www.begegnungszentrum.at

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Rede zum Jahrestag der Irak-Invasion: "Wir müssen Nein sagen zum Krieg! Nur 
Frieden wird Frieden hervorbringen"

Am 20. März 2004, dem ersten Jahrestag des Beginns der Irak-Invasion, 
protestierten weltweit Millionen Menschen gegen Krieg.

Wir dokumentieren in den "Infos" 100 und 101 Reden, die beim 
Internationalen Friedens-Aktionstag 20. März 2004 an der US-Air-Base und 
dem Atomwaffenlager in Ramstein und in Landstuhl gehalten wurden.

Prof. Dr. Dr. Horst-Eberhard Richter

(Psychoanalytiker, Psychiater und Sozialphilosoph, Mitbegründer und 
Ehrenvorstandsmitglied der Deutschen Sektion der Internationalen Ärzte zur 
Verhütung des Atomkrieges - Ärzte in Sozialer Verantwortung [IPPNW])

Rede in Ramstein (D) am 20.3.2003

Liebe Freundinnen und Freunde,

als der Chef der Vereinigten Staatschefs der USA General Omar Bradley in 
Pension ging, verabschiedete er sich mit Worten, die heute als Motto über 
unserer Veranstaltung stehen könnten:

"Wir leben im Zeitalter der nuklearen Riesen und der ethischen Zwerge, in 
einer Welt, die Brillanz ohne Weisheit, Macht ohne Gewissen erreicht hat. 
Wir haben die Geheimnisse des Atoms entschlüsselt und die Lehren der 
Bergpredigt vergessen. Wir wissen mehr über den Krieg als über den Frieden."

Heute sind wir zu diesem Ort marschiert, weil er uns in besonderer Weise 
zwingt, der Wahrheit ins Auge zu sehen, die Bradley mahnend beschreibt. An 
dieser Stelle liegt ein Teil der nuklearen Riesen, von denen noch 35.000 in 
der Welt gehortet sind. Und wir benehmen uns in der Tat unwürdig, feige und 
moralisch erniedrigt, wenn wir weiterhin einer Politik gehorchen, die sich 
mit diesen Horrorwaffen gegen die eigene Friedensunfähigkeit versichern will.

Liebe Freundinnen und Freunde, hier und in Büchel sind insgesamt 65 
amerikanische Atombomben vom Typ B61-11 gehortet, von denen jede einzelne 
über die 5-fache Sprengkraft der Hiroshima-Bombe verfügt, die auf einen 
Schlag mehr als 200 000 Menschen getötet hat. Damit verstößt die 
Bundesrepublik gegen den Atomwaffen-Sperrvertrag von 1970 Artikel II, wo es 
heißt: "Jeder Nichtkernwaffenstaat verpflichtet sich, Kernwaffen von 
niemandem unmittelbar oder mittelbar anzunehmen." Eine Bedrohung außer 
derjenigen, die von diesen Bomben selbst ausgeht, ist nirgends in Sicht. 
Die Bomben gehören den USA, die im Ernstfall genauso wenig fragen würden, 
ob sie diese einsetzen dürfen, wie sie es im Falle der von Deutschland aus 
gestarteten Kampflugzeuge im Irakkrieg getan haben. Ein künftiger Gegner 
müsste also bestrebt sein, die hiesigen Atombomben vorsorglich auszuschalten.

Das heißt: Die Menschen in dieser Gegend leben in einer andauernden 
nuklearen Geiselhaft. Weil das unerträglich ist, bemühen sie sich, wie 
sonst auch große Teile unserer Bevölkerung, daran gar nicht zu denken. Aber 
das entspricht dem Verhalten kleiner Kinder, die beim Versteckspielen die 
Augen schließen, um unentdeckt zu bleiben. Deshalb sagen wir: Verdrängen 
und Stillhalten sind auf Dauer tödlich!

Als der Experte Nummer eins auf dem Gebiet der Nuklearwaffen El Baradei 
unlängst gefragt wurde, wann die Gefahr eines Atomkrieges am größten 
gewesen sei, sagte er: "Gerade jetzt!" Alle haben es gelesen, dennoch blieb 
es still. Aber wir dürfen nicht still bleiben, liebe Freundinnen und 
Freunde, hier wie überall auf der Welt, wo immer die Menschen heute und in 
Zukunft für den Frieden demonstrieren.

Wir veranstalten hier in Ramstein kein Schaulaufen von sektiererischen 
Friedensprofis. Wir sehen uns vereint mit Millionen in vielen Ländern, die 
vor einem Jahr verhindern wollten, dass im Irak 10.000 Zivilisten für die 
Befreiung von einer Weltbedrohung sterben mussten, die dort gar nicht 
existierte.

In diesen Tagen haben wir den Tod von 200 Menschen in Madrid zu betrauern, 
die Opfer von verbrecherischem Terror geworden sind. Sie sind aber auch 
indirekt Opfer des Irakkrieges. Das sieht die Mehrheit der Spanier genauso 
und hat deshalb ihre Kriegsregierung abgewählt. Das ist inmitten der Trauer 
ein Zeichen großer Hoffnung. Der amerikanische Philosoph Richard Rorty hat 
soeben den Krieg gegen den Terrorismus eine schlimmere Gefahr als den 
Terrorismus selbst genannt.

In Israel/Palästina gab es drei Jahre fast keinen Terrorismus, als die 
Palästinenser nach der Vereinbarung von Oslo auf einen eigenen autonomen 
Staat auf die Befreiung der besetzten Gebiete hoffen konnten. Das, liebe 
Freundinnen und Freunde, ist das Rezept, Terrorismus zu überwinden. Das 
Ziel des Westens muss sein, in Ebenbürtigkeit zusammen mit den islamischen 
Ländern auf eine gemeinsame Sicherheit hinzuarbeiten, anstatt weiterhin in 
dem Zirkel von Gewalt und Gegengewalt gefangen zu bleiben.

Aber zurück zu den Ausrottungswaffen, die hier gelagert sind und die selbst 
eine terroristische Bedrohung der schlimmsten Art darstellen. Gerade vor 
wenigen Tagen haben 93 Prozent der befragten Bundesbürger in einer 
Forsa-Umfrage für eine umgehende Beseitigung der auf deutschem Boden 
gehorteten Atombomben als ersten Schritt zu einer vollständigen atomaren 
Abrüstung votiert. Wir verlangen, dass unsere Regierung handelt!

Wir wollen nicht länger zu den moralischen Zwergen gehören, die feige ihre 
eigene Verantwortung an die verantwortungslosen Nuklearwaffen abtreten. Wir 
weigern uns, die Politik atomarer Bedrohung zu unterstützen, die nur Angst, 
Wut, Rache und Terrorismus schürt. Wir glauben an die menschliche Kraft, 
mit der Nelson Mandela und die Menschen in Südafrika eine der furchtbarsten 
Gewaltspiralen der Welt friedlich überwunden haben. Und wir kämpfen dafür, 
dass diese Kraft die Politik der Zukunft bestimmen muss!

Quelle: www.IPPNW.de

Aus der Homepage http://www.lebenshaus-alb.de/mt/archives/002181.html

Ein guter Überblick über die weltweiten Demos und zahlreiche Bilder finden 
sich bei de.indymedia.org unter: "20. März 2004: Millionen gegen Krieg bei 
weltweiten Protesten - Überblick".

Auszüge aus weiteren Reden dokumentieren wir im "Info 101".



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Matthias Reichl
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