[E-rundbrief] Info 83 - WSF 2004 - Heidi Rest-Hinterseer, Berichte 20. - 21.1.2004

Matthias Reichl mareichl at ping.at
Fr Jan 23 19:04:36 CET 2004


E-Rundbrief - Info 83 - Heidi Rest-Hinterseer: World Social Forum 2004 
Mumbai/ Bombay (Indien),

Berichte vom 20. - 21.1.2004: Wasser, Abschlußdemo, WEF Davos

Bad Ischl, 23.1.2004

Begegnungszentrum für aktive Gewaltlosigkeit
www.begegnungszentrum.at

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World Social Forum (WSF) 2004 Mumbai/ Bombay (Indien)

Berichte vom 20. - 21.1.2004

Heidi Rest-Hinterseer, Abg. z. NR, Grüne

20. Januar 2004: Tagebuch aus Mumbai ­ Tag Fünf

Heute ist unser Wasser ­ Schwerpunkttag. Am Vormittag beschäftigen sich 
"Diverse Women for Diversity" mit dem Thema Frauen und Wasser. Maude Barlow 
von den Water Warriors, Kanada, gibt in der Einleitung zu bedenken, dass 
Frauen in vielen Teilen der Welt Tag für Tag damit beschäftigt sind, Wasser 
kilometerweit zu ihren Familien zu schaffen. Sie haben oft nicht die 
Gewähr, dass dieses Wasser rein ist und gefahrlos von den Kindern getrunken 
werden kann. Jeden Tag sterben Tausende von Menschen an den Folgen des 
Genusses von verunreinigtem Wasser.

Maria Mies, Deutschland, berichtet von den Kölner Erfahrungen mit dem 
Instrument des Cross border leasing, das auch in Österreich schon für 
Schlagzeilen sorgte: Verkauf des Kanalsystems einer Kommune an unbekannte 
Investoren in den USA, Zurückleasen durch die Kommune am selben Tag und 
Ausbezahlung des sogenannten Barwertvorteils an die Kommune. Für den 
unbekannten Investor in den USA bedeutet dies enorme Steuerersparnis, einen 
Teil davon überlässt er den Kommunen. Im Grunde ist es Steuerbetrug an 
allen SteuerzahlerInnen. Nach letzten Pressemeldungen hat der Staat 
Virginia diesem Treiben einen Riegel vorgeschoben und wird die 
Steuerersparnis nicht mehr anerkennen. Ursula Oswald aus Mexiko listet jene 
multinationalen Konzerne auf, die unter den verschiedensten Namen ihr 
Geschäft mit dem Lebensmittel Wasser machen. Sie verweist auf das Problem, 
dass althergebrachte Formen der Bewässerung und Reinigung von Wasser in 
Vergessenheit geraten und sich viele Menschen in die Abhängigkeit von 
externen Wasserversorgern begeben.

Joy Kennedy, Kanada, berichtet darüber, dass ihre US-Kollegin Marie Mason 
überstürzt abreisen musste. Man gab ihr nur drei Tage Zeit, sich vor 
Gericht einem Verfahren gegen sie zu stellen, sonst hätte sie eine 
Gefängnisstrafe riskiert. "Zuerst geht es im Namen der 
Terrorismusbekämpfung gegen Minderheiten, dann gegen AktivistInnen", ist 
Joy über die Vorgangsweise der örtlichen Behörden entsetzt. Mason war mit 
ihrer Sweet Water Alliance in ihrer Heimatstadt Detroit, Michigan, 
unangenehm aufgefallen. "In den USA ist jetzt schon die Regierung 
privatisiert", zeichnet Jean, die Moderatorin des Seminars, ein düsteres 
Bild von der einstigen Vorzeigedemokratie.

Unser vorbereitetes Flugblatt "Our water is not for sale" findet Anklang. 
Der Vorschlag eines World Water Contracts, übernommen von Riccardo Petrella 
(Das Wassermanifest), wurde wenige Tage vorher in New Delhi unter 
Beteiligung von großen NGOs unterstützt. Die Entscheidung, die 
Wasserkonferenz abzuhalten, wurde übrigens kurz vorher in Cancún getroffen. 
Die Umweltaktivistin Vandana Shiva hat mit anderen AktivistInnen innerhalb 
von vier Monaten das Treffen auf die Füße gestellt. Im World Water Movement 
http://www.pwwf.org finden alle jene Bewegungen Platz, die Wasser als 
gemeinsames Erbe, als Menschenrecht oder als unveräußerliches Gut 
bezeichnen. "Wasser ist keine Ware, und die Versorgung mit Wasser kann 
nicht zum Geschäft werden", lautet ihr gemeinsames Credo.

Am Nachmittag geht es weiter mit "Creating a new water paradigm" mit dem 
Water Stewards Network. Auch diese Organisation war in New Delhi beteiligt. 
Es werden konkrete Projekte vorgestellt und es gibt enormes 
ExpertInnenwissen. Lokale AkteurInnen stellen verschiedene "Rainwater 
harvesting" ( Wasserernte ) - Projekte vor. Ein Biobauer aus Sri Lanka 
berichtet über ermutigende Versuche mit der biologischen Bewirtschaftung 
und der damit erreichten Wasserersparnis. Lokalkolorit kommt mit den Fragen 
einer Studentin von Mumbai auf, die anhand einer Studie nachweisen konnte, 
dass Arme in Mumbai mehr fürs Wasser bezahlen als Reiche. Zwar ist in 
Mumbai genug Wasser vorhanden, es gibt jedoch zwei Probleme: Zum einen 
erzeugt eine Tankerlobby künstliche Wasserknappheit, um die Preise 
hochzutreiben. Zum anderen wird Müll über Grundwasservorkommen abgelagert ­ 
wie kann eine Kontamination verhindert werden? Solche und ähnliche Fragen 
sollen in Zukunft auf der Internetplattform des "Peoples world water forum" 
beantwortet werden ­ und: es soll ein Globus abgebildet sein, auf dem alle 
Regionen der Welt zu finden sein werden. Mit ihren spezifischen 
Wasserproblemen und mit regionalem Wissenstransfer.

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21. Jänner 2004: Tagebuch aus Mumbai  Tag 6

Nach einer ereignisreichen Woche sitzen wir wieder im Flugzeug Richtung 
Wien. Am heutigen Tag war das NESCO-Gelände, ein weitläufiges 
Industrieareal, auf dem das World Social Forum getagt hatte, geschlossen. 
Stattdessen brach um die Mittagszeit im Stadtzentrum eine Demonstration zur 
Abschluss-Kundgebung auf. Endpunkt der Demo: Azad Maidan, ein großer, 
offener Platz in der Nähe des Hauptbahnhofes von Mumbai. Auch hier wieder 
das inzwischen vertraute Bild des Open space: Menschen wandern in Gruppen 
herum, dazwischen sammeln sich spontane Mini-Demonstrationszüge und ziehen 
skandierend übers Gelände. Die Musik stammt von einer bekannten indischen 
Formation. Die ersten Abschluss-Reden sind dem Ton nach feurig, aber in 
Hindi gehalten und minimal übersetzt. Bevor der brasilianische Superstar 
(und Kulturminister) Gilberto Gil auftreten konnte, mussten wir wegen 
unserem nächtlichen Abflug bereits ins Taxi Richtung Flughafen steigen.

Was bleibt nun von dieser Woche? Die Methode des Open space eignete sich 
für die Vielfalt der Anliegen, die aber doch in Schwerpunkte gebündelt waren:

         Militarismus, Krieg und Frieden
         Medien, Information, Bildung und Kultur
         Arbeit, Beschäftigung und soziale Reproduktion
         Ausgrenzung, Diskriminierung, Würde, Recht, Gleichheit: Nation, 
Staat, Staatsbürgerschaft
         Gesetz und Recht
         Kaste, Rassen und andere Formen der Ausgrenzung
         Religion, Kultur, Identität
         Patriarchat, Geschlecht, Sexualität
         Demokratie, Ökologie und ökonomische Sicherheit: Schulden und Handel

Neben den vielen Eindrücken, die beim Flanieren über das Forum-Gelände 
entstehen, bleibt vor allem einer: Der Eindruck der verschiedenen 
Geschwindigkeiten. Die Hoffnung der Menschen, die auf uns zukamen, uns die 
Hand schüttelten, war überwältigend. Manche erzählten über ihre Anliegen 
oder fragten uns, warum wir nach Mumbai gekommen seien. Immer wieder wurden 
wir gebeten, auf Photos mit drauf zu sein. Es scheint eine fast magische 
Erwartung damit verbunden zu sein, mit Menschen aus westlichen Demokratien 
Kontakte zu haben. Ein junger indischer Wissenschaftler, der nach dem 
Studium in den USA nach Hause zurückkehren will, formulierte es drastisch: 
"In Indien haben wir keine Zeit mehr, auf demokratischere Verhältnisse oder 
auf die Einführung der Tobin Tax zu warten. In den Dörfern meiner Heimat 
Madhya Pradesh sterben heute und morgen Menschen daran, verunreinigtes 
Trinkwasser zu trinken. Das ist unerträglich, weil wir einfache Methoden 
der Trinkwasser  Aufbereitung kennen. Wir haben aber nicht die Finanzmittel 
dazu, die Leute in den Dörfern anzuleiten."

Während die einen also keine Zeit mehr haben, auf den guten Willen der 
anderen zu warten, haben die anderen keine Zeit, auf das Wohlergehen der 
vielen zu achten. Denn: "Speed wins" und das gilt immer für die Eliten. 
Wenn seit gestern beim World Economic Forum in Davos/Schweiz darüber 
beraten wird, ob die enormen Wachstumsraten in China zu einer neuen 
Finanzkrise in Asien führen werden und/oder ob man "frisches Kapital" dort 
anlegen soll, wird das Public eye on Davos (Organisation von NGOs unter der 
Koordination der Erklärung von Bern) die Ereignisse beobachten. Hat das 
World Social Forum Einfluss auf die Entscheidungen der Wirtschaftsbosse? 
Oder wird die signifikante Machtverschiebung vom öffentlichen hin zum 
privaten Sektor, die Beeinflussung der Politik durch die Macht der Konzerne 
ungebremst weitergehen?

Die Rolle der Unternehmen und wie sie in die Verantwortung genommen werden 
müssen, wird uns strategisch beschäftigen. Codes of Conduct und freiwillige 
Verpflichtungen, wie sie UNO Generalsekretär Kofi Anan einfordert, werden 
nicht ausreichen. Wir fordern ein unabhängiges Monitoring  Modell, das die 
Betriebe einer ständigen Kontrolle unterzieht und überprüft, ob im Bereich 
der ArbeitnehmerInnenrechte, des Arbeitsschutzes und der Verhinderung von 
Kinderarbeit die Auflagen eingehalten werden.
Das Thema Wasser für alle und die Versorgung mit Trinkwasser wird die 
zentrale Rolle in der Politik der nächsten Jahrzehnte einnehmen. Wasser 
darf keine Ware sein, sondern ist ein öffentliches Gut, ein Menschenrecht, 
das allen zugänglich gemacht werden muss. Die Mittel für 1 Milliarde 
Wasserhähne, wie Riccardo Petrella sie in seinem "Wassermanifest" 
einfordert, sind durch die Einhebung der Tobin Tax, einer Steuer auf 
Spekulationsgewinne, aufzubringen. Wir fordern die sofortige Einführung der 
Tobin Tax weltweit  das ParlamentarierInnenforum muss dafür in 
Zusammenarbeit mit den zivilen Bewegungen den Weg bereiten!

Abg. z. NR Heidemarie Rest-Hinterseer

Regionensprecherin

Grüner Klub im Parlament

1017 Wien

Tel: +43 1 40110-6323

Fax: +43 1 40110-6793

heidi.rest-hinterseer at gruene.at

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- Matthias Reichl
Begegnungszentrum für aktive Gewaltlosigkeit
Wolfgangerstr.26
A-4820 Bad Ischl
Tel. +43-6132-24590
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