[E-rundbrief] Info 56 - RB Nr.111 - Walden Bello: Scheitern der WTO
Matthias Reichl
mareichl at ping.at
Sa Nov 1 15:22:17 CET 2003
E-Rundbrief - Info 56 - RB. Nr 111 - Walden Bello: Scheitern der WTO
Bad Ischl, 1.11.2003
Begegnungszentrum für aktive Gewaltlosigkeit
www.begegnungszentrum.at
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Scheitern der WTO
Mit Walden Bello sprach Pia Eberhardt (WEED)
15.9.2003. Die Welthandelsorganisation hat gestern eine Riesen-Schlappe
erlebt. Aber was bedeutet das für die globalisierungskritischen Bewegungen?
Walden Bello, Direktor des globalisierungsgegnerischen Netzwerkes "Focus on
the Global South" mit Sitz in Bangkok (Thailand) forderte seit Monaten ein
Scheitern der Konferenz. Vor dem Hintergrund des süffisanten Ausspruchs von
Pascal Lamy, im Anschluss an die Ministerkonferenz in Doha, die WTO sei
zwar in Seattle beinahe vor die Wand gefahren, sei aber inzwischen wieder
auf den Schienen, forderte Bello, die WTO von diesen Schienen wieder
herunterzuholen. "Derail the WTO" hiess der internationale Aufruf. Kurz
nach Bekanntgabe des Scheiterns der Konferenz sprachen wir mit Bello über
die Gründe und wagten einen Blick in die Zukunft.
Weed: Walden, was denkst du war der Grund für das Scheitern der
Ministerkonferenz?
Bello: Ich denke, der Grund war, dass weder die USA noch die EU zu
Konzessionen bereit waren. Beim Thema Agrarhandel haben sie keinerlei
Zugeständnisse gemacht und gleichzeitig haben sie darauf beharrt,
Verhandlungen zu den vier Singapur Issues aufzunehmen. Der zweite Entwurf
der Ministererklärung, der gestern veröffentlicht wurde, brachte das Fass
dann zum überlaufen, denn er war wesentlich schlechter als der erste, den
Entwicklungsländer ja schon scharf kritisiert hatten. Das galt vor vor
allem im Bereich Landwirtschaft. Weder bei den Exportsubventionen, noch bei
den Zöllen der Industrieländer und den sogenannten "Green Box"-Subventionen
wurden die Anliegen der Entwicklungsländer aufgegriffen. Mit diesem Papier
war klar, dass allein der Süden Konzessionen hätte machen müssen, während
die Länder des Nordens weiter in den Genuss der "besonderen und
differenzierten Behandlung" gekommen wären, die eigentlich nur den
Entwicklungsländern zusteht. Dass der Draft sich dann auch noch darum
herumgeschlichen hat, bei den Singapur Issues einen expliziten Konsens zu
verlangen, brachte die Entwicklungsländer zu der Einsicht, dass der Norden
ihnen nicht zuhören würde. Das war der Grund für Korea und Kenia,
aufzustehen und darauf zu beharren, dass es ohne einen expliziten Konsens
in der Frage der Singapur Themen keine Verhandlungen geben könne.
Letztendlich haben USA und EU durch ihr Verhalten das "Derail der WTO"
verursacht, dass wir immer gefordert haben. Sie haben es sich selbst
zuzuschreiben.
Weed: Welche Rolle hat die Zivilgesellschaft mit ihrer Botschaft "Derail
the WTO" in diesem Prozess gespielt?
Bello: Die Zivilgesellschaft war unglaublich wichtig. Sie hat
Entwicklungsländer mit einer Menge Analysen und Informationen versorgt, sie
unterstützt und gleichzeitig Druck auf die Verhandler ausgeübt. Die
Massenmobilisierung auf den Strassen, die Lobbyarbeit und die vielen
Aktionen innerhalb der Hotelzone haben wesentlich dazu beigetragen, die
reichen Länder zu isolieren.
Durch den Druck von unten, konnten auch die Entwicklungsländer nicht von
ihrer Position abweichen. Die Zivilgesellschaft war also ganz klar der
zentrale Akteur hier in Cancun.
Weed: Wie bewertest du das Scheitern der Konferenz?
Bello: Ich sehe das äusserst positiv. Eine Einigung auf Grundlage des
Entwurfs für die Ministererklärung, den wir gestern zu Gesicht bekommen
haben, hätte schreckliche Konsequenzen gehabt. Ihr wären alle Anliegen der
Entwicklungsländer zum Opfer gefallen. Für uns ist kein Deal daher besser
als ein schlechter Deal. Ein Scheitern der Konferenz war die beste Option.
Weed: Welche Schritte stehen für die Zivilgesellschaft jetzt an?
Bello: Sie muss alles daran setzten, die WTO zu einem Relikt der
Vergangenheit zu machen. Ihre intransparenten und undemokratischen Regeln,
die einseitig die Mächtigen begünstigen, machen sie zu einer Organisation,
die nicht ins 21. Jahrhundert gehört. Wir brauchen Regelwerke oder
Institutionen, welche die Interessen der Mehrheit der Mitgliedsländer
repräsentiert. Wir brauchen die Institutionalisierung von
Mehrheitspositionen. Das ist aber mit der WTO nicht möglich. Nachdem wir im
Vorfeld von Cancun auf ein Derail the WTO hingearbeitet haben, müssen wir
uns jetzt überlegen, wie wir ein "phasing out", ein Auslaufen der WTO,
erreichen können. (www.weed-online.de)
Siehe auch Info 30 u. 40!
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