[E-rundbrief] Info 14 - RB Nr. 109/110, Atomare Kollaborateure, Irak-Krieg und Atomgefahren, Tschechen und AKWs
Matthias Reichl
mareichl at ping.at
Di Aug 19 18:09:10 CEST 2003
E-Rundbrief - Info 14
Bad Ischl, 17.8.2003
Begegnungszentrum für aktive Gewaltlosigkeit
www.begegnungszentrum.at
109. und 110. Rundbrief (2 und 3/2003) 27. Jhg.,
Doppelnummer Frühling und Sommer 2003
August
2003
Teil 7:
Atomare Kollaborateure
Matthias Reichl
Was verbindet den "Vater" der Wasserstoffbombe und anderer Atomwaffen,
den Präsidenten der US-Waffenlobbyorganisation "National Rifle
Association", den tschechischen Ex-Präsidenten und eine US-Fernsehköchin
miteinander? Edward Teller, Charlton Heston, Vaclav Havel und Julia Childs
wurden am 23.7.2003 von George W. Bush mit dem höchsten zivilen Orden der
USA, der "Freiheitsmedaille" ausgezeichnet. Der "Standard" (vom 23.7.2003)
zeigt Havel selig lächelnd an Bushs Schulter lehnend - beide mit
verschlossenen Augen - der ihm die Entwicklung vom "guten Mann" zu "einem
der größten Freiheitshelden" attestierte.
War es Bushs Gegenleistung für Havels letzten Staatsakt, der
Unterschrift unter den "Unterstützerbrief der acht Staatschefs" für die
Irak-Besetzung? Mit einem vielfach höheren Einsatz von Urangeschossen und
"intelligenten Bomben" als je zuvor. Lebensbedrohend für eine schutzlose
Bevölkerung, die nicht nur dadurch sondern auch durch ungesicherte Ruinen
und Lagerstätten ehemaliger Atomanlagen auf unabsehbare Zeit gefährdet
werden. Teller kalkulierte dies bewusst in seine Planungen ein. Charlton
Heston propagierte "nur" die zivile, konventionelle Aufrüstung - wie Mike
Moore es in "Bowling for Columbine" treffend dokumentierte. Havel flüchtete
sich angesichts des Widerstandes gegen das AKW Temelin immer wieder in sein
blindes Vertrauen in "westliche Atomtechnologie". Was aber macht die
US-Fernsehköchin in dieser Runde. Vielleicht soll sie jene "Medienköche"
repräsentieren, die den hochexplosiven und giftigen (Polit-) Cocktail als
ungefährlich oder sogar gesundheitsfördernd anpreisen und servieren. Noam
Chomsky nannte diese medialen "Servierpraktiken" kürzlich "Collateral
Language".
Havel wurde als Menschenrechtsaktivist durch seinen Essay "Vom Versuch
in der Wahrheit zu leben" international bekannt. Wie kann er in Bushs Gunst
stehend, unter dem atomaren "Schutzschirm" Tellers, eingekreist von Hestons
"gun-men" und den Mund verklebt durch Childs' TV-Fastfood "in der Wahrheit
leben"? Wäre Havel den von ihm propagierten Werten treu, dann hätte er
diese "Ehre" zurückweisen müssen. Nicht nur Chomsky, wir alle wollen den
Spaltprodukten dieser inhumanen und absurden Logik wirksamen, gewaltfreien
Widerstand entgegensetzen.
(Erweiterte Fassung meiner Botschaft zum Wiener "Hiroshima-Tag", 6. 8.
2003)
Tschechen wollen keinen Ausbau der Atomkraft
Nach einer in dieser Woche veröffentlichten repräsentativen Umfrage
(Altersverteilung, Geschlecht, Ausbildung, Wohnort und Region wurden dabei
berücksichtigt) von TNS Factum (Prag) wollen die Tschechen keinen weiteren
Ausbau der Atomenergie. Auftraggeber der Befragung war die Vereinigung
Südböhmische Mütter (Budweis)
Die Fragestellung lautete: Die neue Energiepolitik des
Industrieministeriums sieht eine weiteren Ausbau der Atomenergie in
Tschechien vor. Würden Sie diesem Ausbau zustimmen?
49,4% der befragten Tschechen sind dagegen, 25,8% sind dafür und
ebenfalls ein Viertel ist unentschlossen oder hat dazu keine Meinung
(24,8%). Bei den Frauen ist die Ablehnung höher (53%).
Tschechen mit höherer Schulbildung und die Bevölkerungsschicht der
30- bis 44Jährigen neigen eher dazu, den Ausbau der Atomenergie zu
forcieren - in beiden Gruppen überwiegt aber die Ablehnung der Atomenergie
(47,3% bzw. 49,7%).
"Für uns ist dieses Ergebnis keine große Überraschung. Aus unseren
persönlichen Gesprächen mit Tschechen wissen wir, dass es eine breite
ablehnende Front gibt und dass die Tschechen mehrheitlich nichts von
Atomenergie wissen wollen! Das Industrieministerium zeigt dieser Ablehnung
der Atomenergie im eignen Land aber die kalte Schulter und will mit aller
Vehemenz die nukleare Option mit der Verlängerung der Betriebszeiten des
AKW Dukovany und dem Ausbau des AKW Temelin durchpeitschen!", so Mathilde
Halla, Obfrau der OÖ Plattform gegen Atomgefahr.
Besondere Betroffenheit und große Ablehnung herrscht natürlich unter
der Bevölkerung, die sich durch die Atomkraftwerke Temelin und Dukovany
gefährdet sehen, aber auch in jenen Gemeinden, die als mögliche
Endlagerstätten für den Atommüll in Diskussion sind.
"Viele der dort ansässigen Bürger fühlen sich vom Industrieministerium
übergangen. Viele fühlen sich an die Zeiten vor der Samtenen Revolution
(von 1989) erinnert, wenn sie aus der Zeitung von den Ausbauplänen der
Atomenergie erfahren. Wird die neue Energiepolitik Tschechiens zur ersten
Nagelprobe, in der zu beweisen ist, wie eine Bürgerbeteiligung aussieht?",
fragt sich Mathilde Halla.
Presseaussendung der OÖ Plattform gegen Atomgefahr am 17. Juli 2003.
Weitere Informationen: Mathilde Halla +43 664 241 6806
Der Irak-Krieg und seine Folgen
Peter Schmidt/ Matthias Reichl/ Greenpeace
Aus dem Norden von Bagdad und aus Basra dokumentiert Peter Schmidt aus
seiner Begegnungsreise im Juni 2003 Berichte von Irakern. Wir bringen zwei
Ausschnitte:
...Offensichtlich fürchteten die US - Panzerbesatzungen, von angeblich
Bewaffneten aus der flüchtenden Menge angegriffen zu werden und die A 10
führten aus, was im Militärjargon als "Luftunterstützung" bezeichnet wird -
ein Massaker an Zivilisten mit uran-angereicherten Geschossen, mit 4000
Schuß pro Minute. Zusätzlich hätten US - Scharfschützen von Minaretts aus
in die Menschen geschossen und dann die Moscheen gesprengt, wird uns
versichert...
...Aber der Angriff und die Eroberung von Basra hat die Stadt wieder
furchtbare Opfer gekostet: Wie 1991 setzten die Alliierten Uranmunition
ein, berichtet Dr. Jenan, "die Krebsrate wird weiter steigen, vor allen bei
den Kindern". Diesmal sei auch in und um Bagdad Tonnen von Uranmunition
verschossen worden - eine düstere Zukunft für den gesamten Irak. Die
meisten Spitäler wurden geplündert, sie selbst hätte die britischen
Besatzer - wie üblich erfolglos - um Schutz gebeten, ihre Ärzte hätten sich
dann bewaffnet und Tag und Nacht das Spital bewacht... 1. Juli 2003
(Der ganze Text steht als "[E-rundbrief] Info 7 - Peter Schmidt -
Irak-Reisebericht" auf unserer homepage www.begegnungszentrum.at/archiv/)
Waffenarsenal
Medien berichten (am 8. 8. 2003), dass die US-Truppen bei Bagdad auch
30 Napalm-(Brand)Bomben eingesetzt hätten - obwohl diese seit dem
Vietnamkrieg weiterentwickelten Waffen international geächtet sind. Ein
US-Offizier zu ihrer Effektivität "We like them!" Wie viele Todes- und
Verbrennungsopfer es gab, wurde bisher nicht bekanntgegeben.
Zu den "Clusterbomben" mit breiter Streuwirkung und den vielen nicht
explodierten Geschossen, den Urangeschossen mit langdauernder Strahlung und
den tiefreichenden Sprengbomben (um tief angelegte Bunker zu zerstören)
sollen bald noch wirksamere "Mini-Atombomben" kommen. In einer
Geheimkonferenz von US-Militärs, Politikern und Rüstungsexperten - ab 4. 8.
in Omaha (Nebraska) - soll diese Weiterentwicklung als geeignete
Kampfmittel "gegen Schurkenstaaten und Terroristen" durch die
US-Militärdoktrin abgesegnet werden. Helen Caldicott beschreibt in ihrem
neuen Buch "Atomgefahr USA. Die nukleare Aufrüstung der Supermacht" (2003,
Diederichs Verlag, 22,-) detailliert diese - und weitere -
Aufrüstungspläne und auch die davon profitierenden Firmen.
Geplündertes AKW
Ein Greenpeace-Team untersuchte Mitte Juni das Umfeld von Tuwaitha 18
km südöstlich von Bagdad. Der Atom-Komplex war nach dem Sturz des Regimes
geplündert worden. Doch die Menschen wussten nicht, dass das Material
höchst gefährlich ist und nutzten Fässer zur Aufbewahrung von
Lebensmitteln. Die Strahlung gefährdet nun immer noch zehntausende Menschen
in der Region, obwohl die Katastrophe schon einige Wochen bekannt ist.
"Nichtsahnend entwendeten die Menschen radioaktives Pulver aus der
Nuklearanlage, im Glauben, es sei Seife, oder sie nutzten strahlende Fässer
als Trinkwasserbehälter", beschreibt Greenpeace-Sprecher Wolfgang Sadik
seine Beobachtungen vor Ort. "Würde so ein nukleares Desaster in einem
westlichen Land passieren, wären hier schon Schwärme von Experten und
Entsorgungsteams am Werk und die Menschen erhielten medizinische Hilfe."
Die gemessenen Werte liegen zum Teil um das 1000-fache über dem
Normalwert. In einem bewohnten Haus nahe der Anlage sind sie sogar das
10.000-fache. Auf dem Gelände einer Grundschule für 900 Kinder beträgt der
Wert das 3000-fache. Die Experten fanden in den Dörfern und Feldern
zahlreiche Teile mit dem "Radioaktiv"-Zeichen.
Vor einem solchen Szenario hatte die IAEO noch im April gewarnt und von
den Besatzungsmächten verlangt, die Kontrolle der Anlage so schnell wie
möglich zu übernehmen. Erst am 21. Mai 2003, sechs Wochen nach Kriegsende,
haben die USA der IAEO erlaubt, einen Teil der Anlage zu prüfen, nicht
jedoch auch die Bevölkerung und das gesamte Gebiet zu untersuchen.
In Tuwaitha lagerten bis zum Sturz von Saddam Hussein im April 2003
Uran und andere nukleare Stoffe, die seit dem Golfkrieg 1991 von der UNO
kontrolliert wurden.
Am 4. 7. konfrontierten Greenpeace-Aktivisten den Chef der
US-Zivilverwaltung, Paul Bremer, mit einem Faß voll radioaktiven "yellow
cake", das sie auf freiem Feld bei Tuwaitha gefunden hatten. Trotzdem
behaupten US-Militärs weiter, dass für die Bevölkerung keine radioaktive
Gefahr bestehe und weigern sich, das Gebiet zu säubern und zu dekontaminieren.
(Aus Greenpeace-Presseaussendungen v. 24. 6. und 4. 7. 2003, red. v. M.R.)
Uri Avnerys Artikel "Am Ende werden wir das Ziel erreichen: in Frieden
nebeneinander zusammenleben. Der bi-nationale Staat "Da wird der Wolf beim
Lamm wohnen", den wir auch im "Rundbrief" Nr. 109/110 abgedruckt haben,
findet ihr im Internet unter:
http://www.uri-avnery.de/magazin/artikel.php?artikel=106&type=2&menuid=4&topmenu=4
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