[E-rundbrief] Nr.5 - Mai 2002 Teil b: Artikel und weitere Informationstexte

Maria Reichl maria.reichl at gmx.at
Do Mai 9 22:15:44 CEST 2002


E-RUNDBRIEF Nr. 5 - Mai 2002 - Teil a:  Inhalt und Allgemeines 

*  Teil a:  Inhalt und Allgemeines
*  Teil b:  Artikel und weitere Informationstexte
*  Teil c:  Buchtipps
*  Teil d:  Termine

Aus dem Inhalt
105. Rundbrief (2/2002) 26. Jhg.				Mai 2002
(Seite bezieht sich nur auf dem gedruckten Rundbrief!)

1	Einleitung. 

3	Österreich - Birma -	Frankreich - USA

3	Sozialstaat-Volksbegehren - ein Erfolg!

4	Bildungsabbau: Protestkampagne 2002: "Education is not for sale!" Rede
von Claudia von Werlhof 

5	Prinzip der Sozialstaatlichkeit im Bildungswesen 

5	Armut und soziale Ausgrenzung

9	Wahrnehmungspuzzle - Lutz Rathenow

11	Jürgen Dahls Widerstand

12	Lasst uns nicht verbluten! - Palästina - Israel

12	Urangeschosse in Jenin (Palästina)?... und in Italien

13	Die Europäische Anti-Atom-Plattform

14	Eine/ viele Botschaft(en)

15	Österreich - Nachhaltigkeit - Russland - Israel / Palästina

16 	Wir wollen den internationalen Raum demokratisieren

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Liebe Freunde!

Bildungsabbau, Armut und soziale Ausgrenzung beschäftigen uns mehr denn je.
Das Sozialstaatsvolksbegehren das Anfang April in Österreich immerhin mit
717.102 Unterschriften unterstützt wurde gab auch einen Anstoss diese
Themen in der Öffentlichkeit zu bringen (siehe dazu Seiten 3 - 6). Der
oftmaligen Versuch der Burghaupmannschaft die - seit den Amtsantritt der
jetztigen Österreichische Regierung errrichtete - „Botschaft besorgter
Bürger" wieder zu entfernen inspirierte auch Manfred Madlberger zu einer
Karikatur (Seite 14). 

Während in Österreich und Deutschland nach wie vor gegen die Inbetriebnahme
des Atomkraftwerkes Temelin gekämpft wird und in einige Europäische Ländern
an konkrete Ausstiegsszenarien aus der Atomkraft gearbeitet wird, versuchen
die Finnen ein neues Atomkraftwerk zu bauen. Wir bitten euch mit zu helfen
dieses zu verhindern und rufen euch auf den „European Anti-Nuclear
Platform" beizutreten (siehe seite 13)

Leider reicht der Platz im Rundbrief nie aus um alle wichtige Themen
aufzugreifen alleine schon der Konflikt in Israel und Palestina würde viele
Seiten benötigen (siehe Seite 12).

Auf lokaler Ebene arbeite ich nach wie vor in der Migrantinnen Gruppe
„Frauen einer Welt" und seit 8 April auch in der Geschichtswerkstatt
WerkRaum Abersee, dessen Ziel es u.a. auch ist ein wenig jene
Kommu-nikations-barriere zu überwinden, die oftmals zwischen den
Generationen auf Grund der rasanten gesellschaftlichen Entwicklung
aufgebaut wird. Am 3. Juni organisieren wir ein Treffen mit beiden Gruppen
gemeinsam. In der Geschichtswerkstatt können sich Interessierte aus allen
Teilen des Salzkammergutes treffen, um ihre Geschichten auszutauschen und
zu vergleichen.

Herzlich danken möchte ich allen die mitgeholfen haben unser Frühlingsfest
zu gestalten und Matthias’ Geburtstags-Traumreise nach Hawaii zu
finanzieren. Mit vereinten Kräften haben wir es geschafft ihm die längste
Reise seines Lebens zu ermöglichen, einen Flug nach Honolulu mit einige
Ausflüge auf die andere hawaiianische Inseln. 

Ich selber kann von Mitte Mai bis Ende Juni nur einen eingeschränkten
Bürobetrieb aufrechterhalten, da ich einige dringende Renovierungsarbeiten
in Angriff nehmen möchte. Damit Matthias sich auch nach der Flugreise und
den Klimawechsel noch erholen kann und nicht gleich bei seiner Ankunft in
Arbeit erstickt, möchte ich euch jetzt schon bitten uns bis Anfang Juli
keine Anfragen, die beantwortet werden sollten, zu senden. Da wir unseren
nächsten Rundbrief voraussichtlich erst Ende August oder Anfang September
fertig machen, genügt es auch uns die Termine und Texte dazu erst ab Juli
zuzusenden. Ich bitte euch eindringlich in dieser Zeit auch keine längere
e-mails und vorallem keine attached files zu senden, da wir diese sonst -
ohne sie zu lesen - löschen müssten. Ganz kurze e-mails werde ich weiterhin
auch versuchen zu lesen und zu beantworten. Sollte jemanden handwerklich
geschickt sein und mir beim Ausmalen oder Ausraumen einiger Räume helfen
wollen, bin ich dankbar für jede Hilfe.

Auch wenn wir manchmal eine Verschnaufpause brauchen, versuchen wir, mit
eurer Hilfe, weiterzuarbeiten. Ich wünsche euch eine schönen Sommer,
Friede, Kraft und Freude

Maria Reichl

Ich möchte allen die schon für heuer einen Mitglieds- bzw. Kostenbeitrag
für den Rundbrief überwiesen haben, herzlich danken. Wer bei seiner Adresse
noch nicht "Abo 2002" bzw. "Austauschabo" stehen hat, den bitten wir noch
um ihren Mitglieds- bzw. Kostenbeitrag für 2002.
Wir senden diesen Rundbrief als  Probeexemplar an Leute, denen wir in
letzter Zeit begegnet sind, und an einige alte Freunde. Wir hoffen, dass
sie sich für die behandelten Themen interessieren. Wir würden uns freuen,
auch Sie bald als Mitglieder oder Abonnenten aufnehmen zu können. 
Sollten wir uns irren und Sie den Rundbrief nicht brauchen, geben Sie ihn
bitte an Freunde und andere Interessierte weiter oder senden ihn retour.

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Liebe Freunde,

statt längst an meiner Einleitung zu schreiben habe ich im ARTE-TV gebannt
die Berichte über den zweiten Durchgang der französischen
Präsidentschaftswahl verfolgt. Ich litt mit jenen Wählern für die die
beiden Kandidaten wie Teufel und Beelzebub sind und die mit zugeklemmter
Nase und weißen Handschuhen zähneknirschend ihre Stimme für Chirac abgeben
mussten. Ihre Kritik richtete sich gegen die Inhaltsleere der
Wahlkampfparolen und langdauernde Demontage ethischer Werte in der Politik.
In einer Reportage dokumentierte ARTE vor einigen Tagen die
banal-bösartigen Verhaltensweisen von Le Pen’s Funktionären und Mitläufern,
aber auch deren clevere Machtstrategien - mit beklemmenden Parallelen zu
ähnlich eingestellten Österreichern. Andererseits zeigten die größten
Demonstrationen seit Jahrzehnten, dass der überwiegende Teil der Bürger
Frankreichs sich ihren Protest gegen die verfehlte Politik und die
Korruption in den Großparteien nicht von Extremisten  instrumen-talisieren
lassen. (Mehr dazu unten und im Text von Susan George am Ende des
Rundbriefes.).

Im „Rundbrief" Nr. 104 haben wir über das „World Social Forum" in Porto
Alegre (Brasilien) und seine weltweiten Netzwerke berichtet. Die Forderung
des Treffens nach einer kontinentalen Regionalisierung wird nun in die
Praxis umgesetzt. Auch wir beteiligen uns am „Europäischen Sozialforum
(ESF)" und seinen österreichischen sowie Salzburger Netzwerken. Vom 10. bis
12. Mai treffe ich mich in Wien mit einem Team, das das erste „European
Social Forum" (vom 30.10. bis 3.11. in Florenz/ Italien) vorbereiten soll.
Dabei sollen verstärkt Vertreter von Initiativen aus Mittel-Osteuropa
eingebunden werden, die bisher nur spärlich vertreten sind. Der Erfolg wird
auch davon abhängen, wie die soziale und auch emotionale Dynamik, die in
Porto Alegre die Aufbruchsstimmung prägte, auch im europäischen
Mobilisierungsprozess wirksam wird. Die Italiener haben darin ja einige
Erfahrungen. Andererseits zeigen sich auch spaltende Einflüsse durch
interne Machtkämpfe von (großteils linken) Splittergruppen.

Diese Spannungen werden auch im Salzburger Sozial Forum spürbar, in dem
unter anderem für den 14. und 15.9.ein Alternatives Forum und eine
Demonstration gegen das jährliche „Europäische Wirtschaftsforum" (des
Davoser WEF) organisiert werden. Meine Satire zum „Salzburger WEF (=World
Economic Fiasko) im „Rundbrief" Nr. 101 illustriert die dubiosen
Hintergründe noch immer treffend.

Der weit gespannte Themenbogen des ESF schließt auch die Initiativen für
Ernährungssicherung ein, für die weltweit die „Via Campesina" und in
Österreich das „Agrarbündnis"eintreten. Maria Mies brachte bei den
Diskussionsveranstaltungen mit Biobauern und Konsumenten im April in
Hallein und Andorf ihre Erfahrungen - auch im Kampf gegen die neoliberale
Globalisierung - ein.(Siehe auch den „Rundbrief" Nr. 103.) 

Ihr Mann Saral Sarkar hat in einem Artikel in „Politische Ökologie"
kritisch die Vereinnahmung und Entschärfung der Forderung nach
„nachhaltiger Entwicklung" durch Politik und Wirtschaft hinterfragt. Dass
diese Systemkosmetik die existentiellen Bedürfnisse und Forderungen der
Betroffenen verdrängt, zeigt sich auch im Vorbereitungsprozeß zur
UN-Konferenz in Johannesburg.

Maria hat euch schon mein Urlaubsreiseziel Hawaii verraten. Warum
ausgerechnet in einen US-Bundesstaat, der noch dazu ein Touristenziel für
Surfer, Hula-Show-Zuseher und Schamanisten-Fans ist? Es war vor allem die
Einladung unserer Mitarbeiterin Ann und ihrer Freunde in Honolulu, die mich
in ihrer Vielfalt faszinierte. So werde ich nicht (nur) - wie die Karikatur
im „Rundbrief" Nr. 104 suggeriert - hulatanzend die Strände und Vulkane
unsicher machen. Damit ich keine Entzugserscheinungen bekomme, erwarten
mich einige Treffen mit Leuten aus dem Friedensforschungsinstitut der
Universität, von einem Alternativradio, sozialen und Kulturinitiativen der
indigenen (und teilweise landlosen) Hawaiianer und ähnliches mehr. Also
wird das Monat für Begegnungen und Informationsaustausch eher zu knapp
werden, um - meist abseits des „(US)American Way of Life" - nach Lust und
Interesse meine Erfahrungen zu sammeln. Ich danke allen, die dazu mit ihren
(Geburtstags-) Glückwünschen und auch durch eine materielle Unterstützung
beigetragen haben. 

Allen Reiselustigen und auch den Zuhausebleibenden wünsche ich einen
entspannenden und aufmunternden Sommer

Matthias Reichl

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Österreich
„Narren und Visionäre"

Über die geplante Steirische Landesausstellung im Jahr 2005 berichtete uns
im letzten September unser Rechnungsprüfer Gottfried Hochstetter. In seiner
Heimatgemeinde Bad Aussee und den Nachbargemeinden Altaussee und Grundlsee
sollte sie unter einem zugkräftigen Titel einen Sommer lang Einheimische
und Touristen anlocken. Zu dem Vorschlag einer Frau aus Altaussee „Narren"
haben wir in unseren Köpfen und im Archiv vieles gefunden - vor allem als
wir das Thema auch auf „Visionäre" ausgedehnt hatten. Vieles das als kurios
und als „verrückt" abgewertet und abgewehrt wurde - und noch wird -
(„Narren sind gefährlich!") erwies sich anderswo als bahnbrechende,
positive Entwicklung. Die Bürgermeister ließen sich von einer Lobby -
darunter der Industrielle und ex-Minister Androsch - in ihrer Ablehnung
bestärken. Doch ein geschickter Medienexperte konnte als Vermittler den
Landesrat für Kultur überzeugen. Und so können wir jetzt - als Berater am
Rande - unter dem Titel „Narren und Visionäre" weiter Ideen und Mitwirkende
sammeln. Wer von euch welche dazu beitragen will, kann sie (und evtl. seine
Mitarbeit) uns mitteilen.
Matthias Reichl

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Birma: Oppositonspolitikerin frei

Aung San Suu Kyi, Friedensnobelpreisträgerin und führende Persönlichkeit
der oppositionellen „Nationalen Liga für Demokratie (NLD)" Birmas wurde am
6. Mai aus ihrem langdauernden Hausarrest freigelassen und darf nun wieder
frei tätig sein. Ihre Oppositionspartei hatte 1990 die Wahlen gewonnen,
wurde aber von der Militärdiktatur gewaltsam unterdrückt. Dass sie nun in
dem militarisierten Land und unter den ökonomischen Schwierigkeiten
erfolgreich eine Demokratie aufbauen können, ist noch lange nicht
gesichert. Noch immer sind 1000 politische Aktivisten im Gefängnis.
M.R.

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Frankreich: 
Nach der Präsidentschaftswahl

Gleich nach dem Bekanntwerden des Endergebnisses der Präsidentschaftswahl
(Chirac: 81,96%, Le Pen: 18,04%) traten die Gegensätze zutage. Chirac hat
am Tag danach nach dem Rücktritt von Jospin eine Übergangsregierung (unter
der Führung des Rechtsliberalen und Regionalisten Jean-Pierre Raffarin) bis
zu den Parlamentswahlen (Ende Juni) eingesetzt und reklamiert dabei das
Recht, die gemäßigt rechtsgerichtete Politik seines Wahlbündnisses
durchzusetzen. Auch gegen den Willen der ca. 10 Millionen Linken, die ihn
nur gewählt haben, um die Republik vor den Rechtsextremisten Le Pen’s zu
schützen. Trotz der großen Aufklärungskampagne in Richtung Protestwähler
konnte der rechtsextreme Block der „Front National" seine ca. 5,5 Millionen
Unterstützer halten, allerdings die Erwartungen Le Pen’s - auf 30% und mehr
- nicht erfüllen konnten. Mit den rechts-populistischen Slogans, den
Ängsten um die persönliche Sicherheit und Forderungen wie „Austritt aus der
EU bzw. der EURO-Zone" (die eine berechtigte Kritik an der EU missbraucht)
könnte Le Pen bei den Parlamentswahlen weiter Zulauf bekommen.
Kommentatoren vermuten, dass nach dem offensichtlichen Niedergang der
Politik und dem Abwandern vieler Wähler an den rechten und linken Rand des
Politikspektrums die „5. Republik" am Ende ist.
M.R.

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USA 
Regierung gegen Internationalen Strafgerichtshof

Die US-Regierung hat nun endgültig entschieden, das - von Clinton schon
unterzeichnete - Abkommen für einen Internationalen Strafgerichtshof (ICC)
offiziell für ungültig zu erklären. Es wurde bestätigt, dass befürchtet
wird, US-Militärs könnten wegen ihrer Beteiligung an Kriegsgreueln vor
dieses internationale Gericht gestellt werden. Übrigens wurde Henry
Kissinger, Friedensnobelpreisträger, ehemaliger Außenminister bzw.
Sicherheitsberater der US-Regierung, von Menschenrechtsinitiativen und
Journalisten wegen seiner Mitverantwortung für Kriegsgreuel in Vietnam und
der aktiven Unterstützung von Militärdiktaturen und Polizeirepression in
Lateinamerika angeklagt.
M.R.

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Sozialstaat-Volksbegehren - ein Erfolg!

„Dieses Volksbegehren wird sang- und klanglos verschwinden" prophezeite der
Linzer Meinungsforscher Beutelmeyer vom Market Institut und erwartete nur
360.000 Unterschriften. Auch wenn juristisch 100.000 genügen, damit sich
das Parlament damit beschäftigen muss, wurde in den Me-dien und von den
Regierungsparteien der „Sozialstaat"  - mit 717.102 Unterschriften (=
12,20% der Wahlberechtigten) - gegen das „AKW Temelin" (mit 900.000)
aufgerechnet. Den Bürgern, die sich schon früher u.a. bei den Frauen-,
Bildungs--, Tierschutz-, Gentechnikfrei- und anderen Volksbegehren
engagiert hatten, war bewußt, dass auch dieses durch einflußreiche Kreise
in der Regierung „neutralisiert" werden könnte. Daher herrschte die
Überzeugung vor, dass die Kampagne genützt werden sollte, um damit die in
den Medien und politischen Debatten oft verdrängten bzw. verkürzt
dargestellten Probleme und Forderungen „unter die Leute zu bringen". (Die
„Kronen-Zeitung" startete kurze Zeit später wieder einmal eine Hetzkampagne
gegen angeblichen Missbrauch von Sozialleistungen durch sogenannte
„Sozialschmarotzer"). Und weiters, dass der Kampf für soziale Gerechtigkeit
und gegen die neoliberalen Pläne des Sozialabbaues auf nationaler und
internationaler Ebene (z.B. im GATS) gleichzeitig Widerstand geleistet
werden muss. (Siehe auch die folgenden Beiträge!)

Abschließend noch ein erfreuliches Detail aus unserer Region Salzkammergut
(Bezirk Gmunden): 18,4 % aller Wahlberechtigten haben unterschrieben, in
Bad Ischl waren es 1593 (15,5%), in Obertraun sogar 41,9%! Hoffen wir, dass
viele der Unterstützer auch weiterhin aktiv bleiben! 

Das Bundes-Koordinationsbüro in Wien wie auch das regionale in Salzburg
(mit dem wir primär zusammenarbeiten) wird die Kampagne weiter betreuen:

Volksbegehren Sozialstaat Österreich, Schottenfeldg. 3/26, 1070 Wien, Tel.
01-5955364, e-mail: office at sozialstaat.at, www.sozialstaat.at.

Volksbegehren Sozialstaat Österreich - Koordinationsbüro Salzburg, St.
Julienstrasse 2 · 5020 Salzburg, Tel: 0662 / 871505, Tel/Fax: 06217 / 8576,
e-mail: office-sbg at sozialstaat.at, www.sozialstaat.at

Matthias Reichl

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Bildungsabbau

Europaweite Protestkampagne 2002: 
"Education is not for sale!"

Die Protestkampagne richtet sich gegen den europaweiten Bildungsabbau und
die Gefahren der Privatisierung (verstärkt unter anderem durch die
GATS-Verhandlungen im Rahmen der WTO). Das Netzwerk sammelt auch
Unterschriften unter ihren Appell. (Veranstaltungen dazu siehe auch
"Termine" ab Seite 10.)

Informationen u.a. bei: René Schuijlenburg, Aktionsbündnis für Freie
Bildung, Universität Wuppertal, 
Deutschland, e-mail: info at education-is-not-for-sale.org,
www.education-is-not-for-sale.org


Rede von Claudia von Werlhof zum Streiktag der Universität Innsbruck am
24.04.2002

1. Es hätte so schön sein können mit einer Universitätsreform! Sie hätte
uns dabei helfen können, die Universitäten in blühende Landschaften zu
verwandeln. Wir hätten beginnen können, zu erforschen, was wir heute und in
Zukunft wirklich brauchen: eine gewaltfreie Wissenschaft, eine natur-,
frauen-, kinder-, alten-, tier-, pflanzen-, menschen-, lebensfreundliche,
eine fröhliche  Wissenschaft. Wir hätten dabei kooperativ, demokratisch und
unbehelligt von äußeren Zwängen arbeiten können. Wir hätten die Vielfalt
der Begabungen entfalten und das Bestmögliche daraus entstehen lassen können. 

In einem solchen Klima wären große Leistungen möglich und alle Leistungen
würden ihre Anerkennung finden, die wissenschaftlichen ebenso wie die nicht
ganz so wissenschaftlichen. Die Öffentlichkeit würde stolz sein auf ihre
Universität und von überallher würden die Menschen ihre Kinder gern dorthin
schicken. Denn die Universität wäre eine echte Alma Mater. BSE für immer
Ade! Das wäre Weltniveau! 

2. Was aber geschieht stattdessen? Es geschieht das absolute Gegenteil.
Ohne sichtbaren Grund und gegen den erklärten Willen aller Betroffenen will
das Universitätsgesetz 2002 

-	alle Entscheidungen einer winzigen Gruppe von gerade universitätsfremden
Personen überlassen, insbesondere Politikern und Wirtschaftsbossen

-	dadurch die Universitäten den undurchsichtigsten Machenschaften
ausliefern. Sie will

-	alle Arten von Unabhängigkeit wissenschaftlicher Forschung und Lehre
grundsätzlich abschaffen

-	echte wissenschaftliche Leistungen verunmöglichen bzw. dequalifizieren
und auf ein Minimum an Fächern reduzieren

-	nahezu alle Arbeit an der Universität dem „hire and fire„-Prinzip
unterwerfen

-	bestehende Universitätskultur, Arbeitsklima, Gleichbehandlung und soziale
Sicherheit gänzlich zerstören und schließlich

-	durch ständig abnehmende finanzielle Leistungen die Universität am Ende
der Beliebigkeit des internationalen sogenannten Freien Marktes ausliefern.

-	Dabei gilt, laut Ministerin: Demokratie behindert die „Geschäftsfähigkeit„!

Dies ist ein Terror-Anschlag auf die Universität! Ein Attentat, eine
Kriegserklärung, ein Putschversuch! Zum Hohn soll die Universität ihre
Zerschlagung auch noch selbst durchführen. Obszönerweise verlangt man von
uns, dass wir im vorauseilenden Gehorsam – wie schon einmal- uns freiwillig
selber abschaffen, und dass wir uns von allem angeblich Überflüssigen
„säubern„, so als hätte die Neutronenbombe eingeschlagen: Die Gebäude
bleiben, aber alles Leben ist aus ihnen gewichen. 

Der Mechanismus dafür ist die sogenannte Evaluation, in der wir uns bereits
befinden. Die Evaluation ist die Grundlage der Universitätsreform. Ohne sie
geht nichts. Wir sollten also als Allererstes diese Art von Evaluation
verweigern. Denn sie dient unserer Gleichschaltung, der Vernichtung unserer
Arbeit und unserer Entmündigung.

Angesichts eines derartigen neuen Ungeistes ist ein „prophylaktisches sich
Fürchten„ – wie Frau Minister Gehrer spottet – allerdings angesagt, mehr
noch: Panik ist angesagt!

Denn: Es soll uns nie gegeben haben... Warum?

3. Wie ist die vollkommene Irrationalität des Universitätsgesetzes zu
erklären? Des Rätsels Lösung ist: Die Universität soll autoritär wie ein
Konzern organisiert werden, damit das Projekt der weltweiten Öffnung des
Bildungssektors für die global operierende private Bildungsindustrie
widerstandslos vonstatten gehen kann! 

Dieses Projekt gehört zur WTO, zur Welthandelsorganisation, und trägt den
Namen GATS, allgemeines Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen. Das
GATS sieht für die nächsten Jahre eine „progressive Liberalisierung„ vor,
und zwar der Sektoren Bildung und Gesundheitswesen – daher der
Amputationsversuch der Medizinischen Fakultät! – sowie u.a. des Transports,
der Energie und der Wasserversorgung. (Auch das Tiroler Wasser wird bereits
zum Verkauf verplant!)

Von Juni 2002 bis März 2003 wird die österreichische Bundesregierung bei
der EU-Kommission deponieren, welche Dienstleistungsbereiche sie als
nächstes zu öffnen vorhat. 

Wußten Sie etwas davon? Nein, denn diese Politik ist geheim. 

Sie besteht darin, die RES PUBLICA, die öffentlichen Angelegenheiten, in
eine RES PRIVATA, eine privat angeeignete Angelegenheit zu verwandeln. So
soll die Re-pub-lik dem globalen Kolonialismus neototalitärer
Konzernherrschaft geopfert werden.

Es hat also nicht Frau Gehrer das Universitätsgesetz erfunden, sondern sie
ist die schamlose Erfüllungsgehilfin ganz anderer Interessen, denen niemand
von uns zugestimmt hat und zu deren Realisierung sie von niemandem gewählt
wurde! Schließlich ging die Privatisierung der Dienstleistungsbereiche vom
US-Dachverband der Dienstleistungsindustrien aus. Er hat sie gefordert und
in Gang gesetzt. Das ist der Grund, warum die Universitätsreform sich
keineswegs um die Wissenschaft oder gar um die Interessen der in der
Wissenschaft tätigen Menschen kümmert. Denn es geht um die Zurichtung,
vielmehr die Hinrichtung des Bildungsbereichs zum Zwecke seiner privaten
Übernahme. Bildung soll eine beliebige globale Handelsware werden wie z.B.
T-Shirts. Denn sie hat weltweit einen geschätzten jährlichen Dollarwert von
1,5 bis 2 Billionen. Das reizt die Gier der Konzerne. Also sollen wir
verkauft werden, und zwar in die Sklaverei! Jedoch nur das, was von uns
dann noch übrig geblieben ist. Denn die Evaluation soll alles Unprofitable,
Unverwertbare und Unverkäufliche beseitigen, also z.B. sogenannte
Orchideenfächer, die Frauenforschung, große Bereiche der Geistes- und
Sozialwissenschaften und vor allem alle unbequemen und kritischen
Wissenschaften, die in den letzten Jahrzehnten weltweit überall entstanden
sind. Die verbliebenen „Gustostücke„ einer heute sogenannten „big science„
werden dann den Bildungsinvestoren offeriert: z.B. Gen- und Biotech,
Computertech, Informatik und noch ein bisschen Naturwissenschaft samt einer
angepassten Wirtschafts- und Sozial-Instant-Wissenschaft. Dem gesamten Rest
stehen die Liquidierung, die Demontage, der Kahlschlag bevor, der für die
nächsten Jahre bereits auf 50% geschätzt wird. Man will also die
Universität ausschlachten wie ein Stück Vieh und ausschürfen wie ein
Bergwerk, anschließend feilbieten, abverkaufen und zur Plünderung
freigeben. So sollen wir alle zur verwertbaren Naturressource, zu Rohstoff
oder aber zum Müll der Bildungsindustrie werden, der auf dem Abfallhaufen
der Globalisierung landet - wenn wir es zulassen!

4. Die Privatisierung der Dienstleistungsbereiche läuft weltweit auf vollen
Touren. Die Erfahrungen damit aber sind katastrophal. Die neuen Dienste
sind überall von miserabler Qualität, teuer und knapp. Niemand hat diese
Folgen vorher abschätzen wollen, und kaum jemand kann sie mehr stoppen,
wenn sie erst eingetreten sind. Wir sollen also wiederholen, was anderswo,
z.B. in England und Australien schon gründlich schiefgelaufen ist! Denn:
Das ganze ist ein Geschäft. Und Geschäfte muß man machen, oder? Offenbar
ist es neuerdings egal, wenn hinterher nichts als eine Wüste übrig bleibt!

Diese Universitätsreform ist für niemanden gut! Daher werden wir sie
verhindern! Denn wir haben vor ihr in der Tat Angst. Aber wir haben keine
Angst:

- vor dem Sturz des Universitätsgesetzes (und der Ministerin) und 

- vor dem Durchkreuzen der neoliberalen Absichten hinter unserem Rücken

- denn sie sind nicht legitimiert, nicht legitimierbar und auch nicht gegen
uns durchsetzbar

- weil unsere Kraft und unser Widerstand sie zu Fall bringen werden, denn
sie sind von einer umfassenden Geistesschwäche angekränkelt! 

Das GATS wird fallen und das Universitätsgesetz fällt bereits! Und zwar
unter unserem homerischen Gelächter!: 

- keine Shareholderbildung, keine Übergabe der Bildung an unkontrollierbare
private Konzerne, an Stümper, Profiteure und Betrüger. Die Universität ist
nicht dazu da, die Verwüstung von Mensch und Globus zu betreiben, sondern
endlich abzuschaffen!

Schluß mit der Trauer! Feiern wir den Beginn einer Universitätsreform, die
diesen Namen verdient! 

Claudia von Werlhof

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 Zum Prinzip der Sozialstaatlichkeit im Bildungswesen

Bildungspolitik ist immer Teil der Gesamtpolitik eines Staates. Sie ist
daher insbesondere nur auf dem Hintergrund der gesellschafts-  und
wirtschaftspolitischen Ausrichtung der jeweiligen Regierung zu beurteilen. 

Andererseits haben bildungspolitische Weichenstellungen auch
wesensbestimmende Auswirkungen auf die Qualität und den Stellenwert von
gesellschafts-, sozial- und wirtschaftspolitischen Entscheidungen und
bestimmen somit nicht nur die Zukunft eines gesamten Staatswesens
entscheidend mit. Sie haben insbesondere Auswirkungen auf die
Zukunftschancen der Menschen, auf deren Sicherung der materiellen
Lebensgrundlagen, aber auch auf deren konkrete Lebensbedingungen.

In der derzeitigen österreichischen Bildungspolitik spielen vor allem
strukturelle, organisatorische und wirtschaftspolitische Überlegungen eine
Rolle, während ein umfassendes Bildungskonzept sowohl typendifferenziert
als auch abgestimmt auf die Bedürfnisse und Zukunftschancen der Menschen in
einer demokratischen Gesellschaft in den Hintergrund tritt.

Der Begriff Bildung entartet zunehmend zu einem reinen Ausbildungsbegriff,
wo nur die rasche Verfügbarkeit und Verwertung des Wissens am "freien
Markt" zählt. Für Bildungsziele wie Wahrnehmung von Glück, Bereitschaft
sowohl zur Selbstverantwortung als auch gegenüber dem Gemeinwesen, Abwehr
von und Abscheu vor Unmenschlichkeit , das Bewusstsein von der
Geschichtlichkeit der eigenen Existenz usw. ist kein Platz mehr . Damit ist
die Gefahr verbunden, dass junge Menschen immer mehr in Abhängigkeiten von
Wirtschaftskonzernen und privaten Institutionen, deren Einfluss auf die
Ausbildungsinhalte steigt, geraten.

Die Schule wird zunehmend zu einem "Dienstleistungsbetrieb" umgestaltet, wo
nach den Gesetzen der freien Marktwirtschaft Leistungen für jene erbracht
werden, die dafür auch eine entsprechende Gegenleistung bieten können.
SchülerInnen mit erhöhtem Betreuungsbedarf laufen daher zunehmend Gefahr
nicht mehr in den "Genuss" dieser "Dienstleistungen" zu gelangen....

Gerhard Kohlmaier

(Gekürzt aus der Homepage: www.sozialstaat.at)
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Armut und soziale Ausgrenzung

Mangel an Möglichkeiten

In Österreich leben 340.000 Menschen in akuter Armut. Ungefähr 80.000
Personen sitzen dauerhaft unter den Bedingungen von Armut und Ausgrenzung
fest. Das heißt, sie bewohnen Substandard oder überbelegte Wohnungen, haben
große finanzielle Nöte beim Heizen, bei der Beschaffung von Bekleidung oder
beim Kauf von Lebensmitteln, sehen sich nicht in der Lage, einmal im Monat
Gäste zu sich nach Hause einzuladen und weisen Rückstände bei Zahlungen von
Mieten und Krediten auf. Ihr Einkommen liegt unter 10.000.- Schilling im
Monat. Etwa ein Drittel der Armutsbevölkerung sind Kinder, um die 100 000.
Deren Eltern sind zugewandert, erwerbslos, alleinerziehend oder haben Jobs,
von denen sie nicht leben können. Die Hälfte aller armen Haushalte erzielt
ein geringeres Einkommen als 6.000 Schilling. 

Entscheidend für die Definition von Armut ist aber nicht das Geld allein,
sondern  die Lebensumstände. Armut heißt nicht nur ein zu geringes
Einkommen zu haben, sondern bedeutet einen Mangel an Möglichkeiten, um in
den zentralen gesellschaftlichen Bereichen zumindest in einem Mindestmaß
teilhaben zu können: Wohnen, Gesundheit, Arbeitsmarkt, Sozialkontakte,
Bildung. Armut ist ein Mangel an Verwirklichungschancen eines Menschen, ein
Verlust an substantiellen Freiheiten.

Im Alltag der Betroffenen gibt es keine Armutsgrenze. Sie erfahren Armut
als Lebenslage des Mangels: Das heißt, am Zwanzigsten des Monats nicht zu
wissen, wie man es bis zum Monatsersten schafft; zu Weihnachten einmal den
Kindern schöne Kleidung zu kaufen -mit dem Ergebnis, dann kein Geld mehr
für die Stromrechnung zu haben. Und: doppelt so oft krank zu sein wie
Nicht-Arme. Die sogenannte Managerkrankheit mit Bluthochdruck und
Infarktrisiko tritt bei Armen 3mal häufiger als bei Managern auf. Die
enorme Stressbelastung unter prekären Lebensbedingungen macht krank. 

Wer reich ist, ist deshalb noch nicht glücklich, weiß man. Wer unfreiwillig
arm ist, und um das geht‘s bei den meisten, ist auch nicht glücklich. Die
empirischen Daten scheinen die Volksweisheit zu bestätigen: „Lieber reich
und g´sund als arm und krank„. Daten über die Sterblichkeit in Österreich
zeigen uns auf die Spitze getrieben die Ungleichheit vor dem Tod: Wer
geringes Einkommen und geringe Bildung hat, stirbt durchschnittlich um 5
Jahre früher als diejenigen mit höherem Einkommen und höherer Bildung.

Arbeit schützt vor Armut nicht

Arbeit schützt vor Armut nicht. Immer mehr Menschen arbeiten und haben
trotzdem nicht genug zum Leben. Immer mehr Frauen sind Familienerhalter.
Immer mehr Männer sind von unterbrochenen Erwerbskarrieren betroffen. Trotz
guter Konjunktur fallen viele zwischen die sozialen Netze: Die neuen
„working poor„ und „workless poor„ sind in keiner Arbeitslosenstatistik
mehr zu finden, aufs Sozialamt trauen sie sich nicht aus Scham. Ein
beträchtlicher Teil der guten Arbeitsmarktdaten wird aus Jobs gebildet, die
prekär und nicht existenzsichernd sind. „Die neu entstandenen
Arbeitsplätze„, so die Sozialwissenschafterin Elisabeth Holzinger in einer
aktuellen Studie, „sind zum Teil auf das Anwachsen des Sektors atypischer
Beschäftigungsverhältnisse zurückzuführen, da das Arbeitsvolumen insgesamt
nicht gestiegen ist„. Für manche bedeutet Geringfügige- oder
Teilzeitbeschäftigung eine Vergrößerung ihres persönlichen
Handlungsspielraums, für viele eine unfreiwillige Beschränkung. So gibt es
Gewinner und Verlierer. „Eine gesellschaftspolitisch nicht unriskante
Segmentierung der Gesellschaft zeichnet sich ab„, analysiert Holzinger.
„Und zwar in Besitzer/innen dauerhafter Vollzeitarbeitsplätze und in solche
mit atypischen Jobs, in Stamm-und Randbelegschaften.„ In den
Sozialberatungsstellen bemerken wir den Anstieg von Hilfesuchenden, deren
(Erwerbs-)Einkommen kein Auskommen sichert.

Poor services for poor people

Diejenigen Staaten, deren Sozialsysteme sich in erster Linie an
„Treffsicherheit„ orientieren wie England oder die USA, haben die höhere
Armutsquoten als Staaten mit egalitärem Bildungssystem und der Absicherung
sozialer Risken für eine breitere Bevölkerung. Diese Systeme wirken
offensichtlich stark präventiv. „Je stärker die Leistungen auf die Armen
konzentriert werden, desto unwahrscheinlicher wird eine Reduktion von Armut
und Ungleichheit„, so einhellig Studien von Korpi und Palme (1998) oder
Michael Förster, OECD. 

Soziale Maßnahmen, die nur auf die Armen zielen, neigen dazu, armselige
Maßnahmen zu werden: „Poor services for poor people„. Öffentliche,
schlechte, traditionelle Schulen für die Einkommensschwachen, private,
gute, reformpädagogische Schulen für die Wohlhabenden. Staatliche, miese
Gesundheitsversorgung für die Ärmeren; private, engagierte Vorsorge für die
Reicheren. Nur allzu schnell verselbständigt sich der Trend weg von
universellen sozialen Bürgerrechten hin zur selektiven almosenhaften
Armenfürsorge. 

Durch die Einbindung der Mittelschichten wird die Bereitschaft, das
Sozialsystem zu finanzieren, erhöht. Zu befürchten wäre, dass sich die
aufstiegsmobilen Mittelschichten, wenn sie einzahlen aber nichts
herausbekommen, vom sozialen Ausgleich überhaupt verabschieden. In der
Treffsicherheitsfalle verlieren Sozialprogramme schnell die
gesellschaftliche Unterstützung. 

Der Begriff „Treffsicherheit„ taugt nicht zur Analyse, werden ihm nicht
noch Schlüsselbegriffe zur Seite gestellt: Existenzsicherung, soziale
Integration, Beitragsgerechtigkeit und Armutsvermeidung.

Existenzsicherung nach unten und Integration nach oben

Auf neue soziale Herausforderungen braucht es auch neue soziale Antworten.
Armutsbekämpfung und Armutsvermeidung gehen Hand in Hand. Wir brauchen ein
Netz nach unten, damit niemand in den dunklen Keller fällt. Und wir
brauchen Aufzüge und offene Stiegenhäuser nach oben, damit nicht ganze
Bevölkerungsgruppen im untersten Stockwerk eingeschlossen bleiben. Es geht
also um Existenzsicherung nach unten und Integration nach oben. Die
Armutsforschung ist sich einig, dass sozialer Ausgleich die effektivere
Grundlage zur Armutsvermeidung bildet als die Privatisierung von sozialen
Risken, daß Grundrechte für alle wirkungsvoller sind als Almosen für
wenige, und daß eine sozial integrative Gesellschaft geringere Armutsquoten
hat als eine Zweiklassengesellschaft.

Lobby, derer, die keine Lobby haben

Wer sich nicht wehrt, ist nicht viel wert. „Speed„ gibt es dort, wo große
Interessen dahinter stehen - „slow motion„ aber, wo Menschen keine Lobby
haben. Die Begriffe „Reform„ und „Modernisierung„ bleiben auf die
durchsetzungsfähigen Segmente der Gesellschaft beschränkt. In den
Bereichen, in denen sich Interessen schwer organisieren, herrscht
Reformverweigerung.  

Erfahrungsgemäß hat jede politische Partei ihre „Lieblingsarmen„; zur Zeit
sind es kinderreiche Familien oder Behinderte, die dann gegen andere
benachteiligte Gruppen wie Zuwanderer, Suchtkranke oder schwierige
Jugendliche ausgespielt werden. Der „würdige„ Arme hat ein Kindergesicht,
ist getroffen durch „Schicksal„ und erweist sich dankbar gegenüber allem,
was ihm zukommt. Der „unwürdige„ Arme trägt Schuld, ist dreckig und
unbelehrbar. Die Vorstellung vom Armen als „guten, reinen und immer
dankbaren Menschen„ führt zu einer verqueren Moralisierung des Sozialen.
Für eine erfolgreiche Armutsbekämpfung braucht es aber eine ganzheitliche
Sicht, die einer Politik der Spaltung entgegentritt - gerade dort, wo
Menschen sind, die keine Lobby haben.

So geht es bei Maßnahmen gegen Armut und soziale Ausgrenzung um eine
Sozialpolitik, die die Betroffenen nicht wohlfahrtstaatlich bevormundet,
sondern ihre Freiheitsmöglichkeiten und Wahlchancen vergrößert. Wie eine
Gesellschaft mit den „Ausgegrenzten„, den „Anderen„ umgeht, -seien es Arme,
Migranten, Langzeitarbeitslose,...-, ist so etwas wie ein Seismograph für
ihren inneren Zustand, nicht zuletzt für ihre Neigung zu Autoritatismus und
einer Politik des Sündenbocks. Darum geht es beim Engagement gegen Armut
nicht bloß um sozialen Ausgleich, sondern gleichzeitig auch um das Maß an
Freiheit in diesem Land.

Martin Schenk

Martin Schenk ist Sozialexperte der Diakonie Österreich
 und Mitinitiator der Österr. Armutskonferenz (www.armutskonferenz.at)

					* * * 


Wahrnehmungspuzzle

Lutz Rathenow

Ideen der Bürgergesellschaft nicht einjustiert

Im Grunde hatten ja jene der DDR-Dissidenten Recht, die das Erbe einer DDR
Opposition nicht einer Partei anvertrauen wollten, sondern in einer Art
Bürgerbewegung gleichzeitig parlamentarisch und außerparlamentarisch
weiterwirken wollten. Es gelang ihnen nur nie, die möglicherweise
innovativen Ideen einer Bürgergesellschaft in die Möglichkeiten der
bundesdeutschen und europäischen Wirklichkeit einzujustieren und plausibel
und interessant darzustellen.

Außerdem gelang es dem bürgerbewegten Osten nicht, eigene Medien zu
erhalten. Damit fehlen immer wieder bestimmte Perspektiven und Erfahrungen
in den ganz alltäglichen und in den spektakulären Diskussionen. Oder sie
kommen nur verkürzt in Agenturmeldungen bei Protesten oder dem Thema
Staatssicherheit zu Wort. An die bereits in den achtziger Jahren
praktizierte deutsch-deutsche Zusammenarbeit (Petra Kelly, Jenaer
Friedensbewegung) wird kaum angeknüpft. Gerade sie wäre geeignet, real
vorhandene gesamtdeutsche Erfahrungen aus dem alternativen Milieu zu
aktivieren und an einer in jede Richtung offenen Diktatur- und
Fanatismus-Prävention zu arbeiten.

Christoph Singelnstein, Chefredakteur von Antenne Brandenburg und 1989
Mitglied der Initiative für Frieden und Menschenrechte, verweist auf einen
anderen, sicher in seiner Bedeutung jetzt wichtigeren Aspekt: „Die meisten
DDR-Bürger haben in ihrem Leben mehr Umweltschäden unmittelbar
wahrgenommen, als es sich Westgrüne auch nur anlesen konnten. Die meisten
DDR-Bürger haben aber auch die Verbesserung der Umweltsituation in ihre
Umgebung in den letzten Jahren wahrgenommen. Darüber hinausgehende
Forderungen sind ihnen suspekt. Zwei Beispiele machen dies deutlich: der
Bau der A 20 im Norden und die Castor-Transporte von Rheinsberg nach
Greifswald. Es ist Bündnis 90/Die Grünen in beiden Fällen nicht gelungen,
eine den ostdeutschen Bedingungen und Befindlichkeiten Rechnung tragende
politische Position zu beziehen, geschweige denn entsprechende politische
Handlungsspielräume zu erarbeiten."

Beim Blick nach Osteuropa wird diese Frage noch drängender. Gerade die
ökologische Positionen müssen sich unter den Bedingungen der
entindustrialisierten Zonen einer Prüfung und Konkretisierung unterziehen.
Sonst bleiben die Grünen eine westdeutsche Luxuspartei - dort, wo von
Arbeit um und für fast jeden Preis geträumt wird. Die DDR-Erfahrungen als
Brücke und Transformationsraum Richtung Osteuropa zu begreifen, das wäre
eine Alternative.

„Auch wir sind ein Nachfolgeland des Sozialismus, leben in seinen
Nachwehen", schreibt Jens Reich. Vielleicht sollten die Bündnisgrünen im
Osten auf traditionelle Parteiarbeit die nächsten Jahre fast ganz
verzichten - und eher an einem kulturellen und politischen Milieu arbeiten,
in dem Interesse an ihren Fragen, Meinungen, Perspektiven wächst. Auf einen
ganz speziellen Mix von Pragmatismus pur und nötigen Visionen käme es an.

Auszug aus dem Beitrag von Lutz Rathenow in: Heinrich-Böll-Stiftung/ Werner
Schulz (Hg.): Der Bündnis-Fall. Politische Perspektiven 10 Jahre nach
Gründung des Bündnis 90 (vereinigt mit Die GRÜNEN Deutschlands). 2001
Edition Temmen.  EURO 12,50

					* * * 

Jürgen Dahls Widerstand

Jürgen Dahl, Essayist, Ökologe und Gartenexperte starb am 6.10.2001 im
Alter von 72 Jahren auf seinem Lindenhof bei Kleve am Niederrhein. In
seinem Buch „Nachrichten aus dem Garten" stellt er warnend fest: "Wir hegen
den Garten und der Garten hegt uns - aber was von weitem aussieht wie eine
Idylle, ist in Wahrheit der verzweifelte Versuch, ein winziges Stück Erde
aus dem großen Krieg gegen die Natur herauszuhalten. Nicht die Flucht ins
kleine Glück also, sondern Widersetzlichkeit, Partisanentum." 

In seinem letzten Essay - abgedruckt in „Scheidewege" (Jahrgang 31) - fragt
er „Wer liefert eigentlich was?". Er nimmt sich ein (un)scheinbares
Randthema vor - ein Nachschlagewerk mit 72000 Stichwörter, produziert vom
Firmenimperium Ameritech, das mit vorgetäuschtem Wort-Reichtum Lieferanten
von Konsumgütern anpreist. Dahl amüsiert sich über die Überfütterung durch
einen "Kopulationswortschatz", etwa am Beispiel einer
"Computerfütterungsanlage ... also, eine Maschine, die den Computer mit
Daten füttert, auf daß er sie später in verdauter Form wieder ausspeie?"
(S. 396f). Doch beim Nachschlagen findet er als Lieferanten ein Unternehmen
für Melktechnik, dessen computergesteuerte Anlagen das Milchvieh füttern
(hoffentlich mit vorgeschaltetem BSE-Tester! Anm. M.R.).

Seinen kritischer Geist finden wir auch in einem "Manifest der Scheidewege"
wieder: "...Überkommenes wird unserem Denken im gleichen Maße fragwürdig
wie Fortschrittsgläubigkeit: Das Gestern ist nicht wiederzuholen, aber das
Morgen kann auch nicht einfach eine verbesserte Form des Heute sein. In die
Tradition zu retirieren ist so aussichtslos wie die Hoffnung, daß dem
Fortschritt, so wie er derzeit betrieben wird, ein zweckmäßiger Mechanismus
der Selbstregulation innewohne, der endlich alles zum Guten wenden werde.
... Skeptisches Denken ist auf jene gerichtet, die glauben, den Code des
Lebens und des Zusammenlebens entschlüsselt zu haben und daraus
schnellfertig die Verfahren des Handelns ableiten zu können. Skeptisches
Denken erbringt Einwände und Einsichten, die nicht immer Weg und Ziel, aber
doch eine Richtung anzeigen..." (S. 411)

Scheidewege. Jahresschrift für skeptisches Denken. Jahrgang 31 - 2001/2002.
Hg. von der Max Himmelheber-Stiftung. Baiersbronn: Max
Himmelheber-Stiftung, 2001, S. 420, DM 39,- 		M:R.

					* * * 

Lasst uns nicht verbluten!

Palästina

Sumaya Farhat-Naer: Die Lage im Heiligen Land ist nicht nur in einer Krise,
sondern es herrscht wirklich Krieg. Es handelt sich hier um eine seit
Jahren andauernde Krise, die sich in den letzten Monaten zu einer
Katastrophe entwickelt hat, für alle Menschen in Palästina, für Muslime und
Christen. Was die Aggression der Besatzung angeht, sind Christen und
Muslime gleichermaßen betroffen. Die Christen haben es deshalb schwerer,
weil sie immer weniger werden, weil viele ihrer Familienmitglieder nicht
mehr im Land sind, weil viele nicht mehr zurückkommen dürfen. Ich denke da
an meine Familie. Sechs meiner Geschwister dürfen nie wieder nach Hause
zurückkehren. Das hat mit den israelischen Militärverordnungen zu tun, die
bewusst verhindern, dass die Menschen wieder in ihr Land kommen, um dort zu
leben. Wir Christen haben das Gefühl, die Absicht, die dahinter steckt,
ist, das Land christenfrei zu machen. Dann ist es einfacher gegen die
Muslime vorzugehen - leider ist das die Politik, die wir zunehmend
befürchten. Die Christen haben es auch schwerer, weil sie in der Region
keinen Rückhalt haben und sich die Solidarität der Christen in Europa
gegenüber den Christen im Heiligen Land erst in den letzten Jahren
entwickelt hat. Für uns war sehr lange kaum christliche Solidarität
spürbar, viele Menschen haben nicht verstanden, dass es uns Christen hier
überhaupt gibt.....

CSI: In der palästinensischen Gesellschaft ist eine kritische Debatte über
die Selbstmordattentate in Gang. Werden die Selbstmordattentäter von den
Palästinensern eher als „Helden der Nation" betrachtet oder bewertet Ihre
Gesellschaft sie eher negativ?

S.F.N: Die Debatte dreht sich darum ob diese Attentate überhaupt einen
Zweck haben. Man betrachtet es an sich als Vergeudung von Menschenleben, da
auch der Täter ein Opfer seiner Tat ist. Ebenfalls stellt man sich aber die
Frage: „Ist es legitim, Menschen auf diese oder auch andere Weise zu
töten?" Angriffe auf das Militär erachten viele als legitimen Widerstand
gegen die Besatzung. Auch ich kämpfe gegen die Besatzung, jedoch mit
friedlichen Mitteln. Die, die es mit Gewalt tun, denken, die Besatzung ist
so schrecklich gewalttätig, dass man ihr nur mit Gewalt begegnen kann. Die
Mehrheit der Menschen in Palästina empfindet die Attentate in Israel gegen
Zivilisten als illegitim und als kriminellen Akt.

CSI: Die israelische Menschenrechtsanwältin Felicia Langer, selbt ein Opfer
des Nationalsozialismus, schreibt in einem ihrer Bücher, ihre Lehre aus dem
Holocaust sei es, „angesichts jeglichen Unrechts und Verbrechens nicht zu
schweigen und die Würde und Rechte der Menschen, wer auch immer sie sein
mögen, zu verteidigen." Sie beschreibt, wie unter der israelischen
Besatzung die Menschenrechte der Palästinenser tagtäglich verletzt werden.
Gibt es in der israelischen Gesellschaft überhaupt ein Bewusstsein für
diese Menschenrechtsverletzungen?

S.F.N.: In Israel gibt es viele Menschen die sehr genau wissen, was in den
besetzten Gebieten eigentlich los ist, doch leider sind es nicht genug. Ein
paar hundert Leute setzten sich auch aktiv für die Palästinenser und für
den Frieden ein. Die Masse jedoch will es nicht wissen, obwohl ihnen klar
ist, hier ist etwas nicht in Ordnung, doch sie wollen sich nicht damit
auseinandersetzen. Es trifft sie sehr tief, weil sie an ihre Geschichte
denken - es gibt Parallelen zu unserer.

Auszug aus einen Interview von CSI mit Sumaya Farhat-Naser erschienen in
„Christen in Not, CSI Informationen und Apelle 5 - Mai 2002
(CSI-Sekretariat, Berggasse 7/3, A-1090 Wien)
					* * * 

Israel

Es ist für die israelischen Friedensgruppen außerordentlich wichtig, daß
Informationen über die regelmäßigen Kriegsverbrechen und
Menschenrechtsverletzungen der israelischen Armee auch an die
internationale Öffentlichkeit gelangen:

www.alternativenews.org (Alternative Information Centre/ AIC)

www.btselem.org (Btselem, Menschenrechts-Information)

www.newprofile.org (Frauen gegen Militarisierung)

www.gush-shalom.org (Gush Shalom, israelische Friedensbewegung)

www.geocities.com/endtheoccupation (Koalition der Frauen für einen
gerechten Frieden - israelische Sektion der Bewegung „Frauen in Schwarz")

www.peacenow.org.il (Peace Now, israelische Friedensbewegung)

www.rhr.israel.net (Rabbiner für Menschenrechte)

www.seruv.org.il/defaulteng.asp (Soldaten, die Einsatzbefehle in den
besetzten Gebieten verweigern)

members.tripod.com/~other_Israel (The Other Israel, enthält viele weitere
Links)

www.wri-irg.org/co/ (War Resisters International, GB, webpage zu
Wehrdienstverweigerer)

www.yesh-gvul.org (Yesh Gvul, Organisation von Soldaten, die den Einsatz in
den besetzten Gebieten verweigern)

www.batshalom.org  (Bat Shalom of the Jerusalem Link, Jerusalem,
Frauen-Friedensinitiative) 

www.j-c-w.org  (Jerusalem Center for Women/ JCW, Frauen-Friedenszentrum)

					* * * 

Urangeschosse in Jenin (Palästina)?

Bewohner der von Israel besetzten Gebiete Palästinas und UNRWA-Experten
berichteten, daß sie im Flüchtlingslager Jenin international verbotene
Waffen und 5mm-Geschosse gefunden haben, die von den israelischen
Besatzungstruppen eingesetzt wurden.

Mediziner in Jordanien berichteten, daß ein Verwundeter, der in ein
jordanisches Krankenhaus eingeliefert wurde, durch ein Geschoß mit DU
(abgereichertes Uran) verletzt wurde.

24.4.2002 (Aus einer Meldung der „LAKA Foundation, Amsterdam, NL,
www.laka.org und www.arabicnews.com/ansub/Daily/)

... und in Italien

Der begründete Alarm über die Auswirkungen von Geschoßen mit abgereichertem
Uran (DU), die von NATO-Soldaten im Irak, Somalia, ex-Jugoslawien und
Afghanistan eingesetzt wurden, bekommt immer mehr Wahrheitsgehalt. 150
erkrankte italienische Soldaten, die aus dem Kosovo zurückgekehrt sind,
werden zum Teil nun auch mit der Erkrankung einiger ihrer Kinder
konfrontiert. Trotzdem werden weiterhin diese absurden Verbrechen geleugnet
und negiert. 

(Kurzmeldung von Dario Fo und Franca Rame, „Il C at C@O della domenica" v.
28.4.2002. Aus dem Italienischen frei übersetzt v. Matthias Reichl)


Aufruf zum Beitritt zur  "European Anti-nuclear Platform"

Die beigefügte Erklärung wurde anlässlich des internationalen Seminars
„Energy and Peace – the image of Finland" am 15. Februar 2002 in Helsinki
abgefasst. Wir fordern Euch auf, Euren Beitritt zur „European Anti-Nuclear
Platform" durch die beigefügte Erklärung zu bekräftigen. Das geschieht ganz
einfach durch Bestätigung mit den Worten „JA. UNSERE ORGANISATION SCHLIESST
SICH DER ‘EUROPEAN ANTI-NUCLEAR PLATFORM’ AN" sowie die komplette Anschrift
Eurer Organisation. Wir erbitten Euch um Antwort bis 
spätestens 24.Mai 2002 an: Ulla Klötzer, e.mail: ullaklotzer at yahoo.com.
Unmittelbar danach erhaltet Ihr eine umfassende Liste aller sich der
„Plattform" angeschlossenen Organisationen für Eure unterschiedlichen
Projekte. 

In Anbetracht der offensichtlichen Probleme für Finnland selbst, drückten
die Teilnehmer am Seminar ihre Bedenken aus, dass eine Entscheidung
zugunsten der Errichtung eines neuen Reaktors in Finnland den Trend zum
langfristigen Ausstieg aus der Kernenergie in ganz Europa umkehren könnte.
Eine solche Entscheidung zum Ausbau der finnischen Kernenergie stellt für
die Atomkraftindustrie eine Aufforderung dar, neue Verträge auch in den
anderen Ländern abzuschliessen, die nach Tschernobyl noch keine
Entscheidung über die Notwendigkeit eines Ausstiegs aus der Atomenergie
getroffen haben. 

Die finnische Debatte über die Frage eines fünften Kernkraftwerkes ist ein
Beispiel dafür, wie eine nationale Entscheidung die Gesamtsituation
hinsichtlich der Kernenergie weltweit beeinflussen kann. Finnische Umwelt-
und Friedensorganisationen haben die internationalen Teilnehmer alarmiert
und auf den Ernst der Situation hingewiesen.

Wir bitten um Mithilfe bei der Verbreitung / Verteilung dieser „Plattform",
damit auch noch weitere nationale und regionale Organisationen in Eurem
Land und im Ausland unterzeichnen! 

Mit umweltfreundlichen Grüßen, 

Ulla Klötzer, Frauen gegen Atomkraft, Finnland, e.mail: ullaklotzer at yahoo.com

Xanthe Hall, IPPNW, Deutschland, e.mail: xanthe at IPPNW.de 

Solange Fernex, Réseau Sortir du Nucléaire, Frankreich, e.mail:
s.m.fernex at wandoo.fr 

Patricia Lorenz, Friends of the Earth Europe, Brüssel, e.mail:
patricia.lorenz at foeeurope.org 

Für weitere Informationen über die Lage in Finnland: 

Frauen für Frieden, Lea Launokari, e.mail: lea.launokari at nettilinja.fi 

Keine-Atomkraft-mehr-Bewegung, Anna-Liisa Mattsoff e.mail:
almattsoff at yahoo.com 

(leicht gekürzt, M.R.)


Die Europäische Anti-Atom-Plattform

Für eine neue Energiepolitik und den Ausstieg aus der Kernenergie in Europa!

Wir, die diesen Appell unterzeichnenden Organisationen, haben uns
zusammengeschlossen und rufen unter dem Titel „The European Anti-Nuclear
Platform" alle europäischen Länder auf, folgende Schritte zum Schutz
unserer Umwelt und Gesundheit einzuleiten: 

-  Die Energiepolitik auf die Nutzung erneuerbarer Energieformen und hohe
Energieffizienz und Energieeinsparungen umstellen; 

-  Alle Pläne für den Bau neuer Kernkraftwerke oder auch
Forschungsreaktoren stoppen;

-  Die Wiederaufbereitung von radioaktivem Abfall sowie die Herstellung von
Plutonium beenden;

-  Den Gebrauch von hochangereichertem Uran verbieten;

-  Der Ausstieg aus der Atomenergienutzung muss zur Priorität werden;

-  Die Form der unterirdischen Endlagerung radioaktiver Abfälle ohne
Möglichkeit einer Rückholung darf nicht realisiert werden;

-  Forschungsarbeiten einleiten und unterstützen, die die gesundheitlichen
Einwirkungen von Niedrigstrahlung des Kernbrennstoff-Zyklus untersuchen.

Europaweiter Ausstieg

Nach der Tschernobyl-Katastrophe wurden alle Pläne für den Bau neuer
Atomkraftwerke verworfen und man begann, die wirtschaftlichen,
gesundheitlichen und ökologischen Folgen der kontinuierlichen
Atomenergienutzung zu untersuchen. Einige europäische Staaten legten
bereits Pläne zum Umstieg von der Kernenergie auf erneuerbare
Energiequellen vor. Gleichzeitig setzten in einigen europäischen Staaten
jedoch Diskussionen über die Errichtung neuer Kernkraftwerke ein. Die
Atomindustrie setzt gewaltige Anstrengungen in Gang, sowohl in Europa als
auch in den Entwicklungsländern, neue Aufträge zu bekommen.

Dabei erweist sich als besonders wichtig, dass die europäischen Staaten die
Energiefrage nicht allein aus der nationalen Perspektive betrachten, denn
Energie wird grenzüberschreitend vermarktet. Der Ausstieg muss in ganz
Europa durchgeführt werden, damit die Stromgiganten nicht ihren Atomstrom
zu Dumpingpreisen auf den Märkten anderen Länder verschleudern können. Dies
erfordert Änderungen in der Energiepolitik aller Länder in Europa. 

Frühwarn-System

Die Organisationen der „European Anti-Nuclear Platform" arbeiten eng
zusammen und informieren einander über die Versuche der Atomindustrie wie
auch der Regierungen der jeweiligen Staaten, Stilllegungspläne zu unterlaufen.

Liegen entsprechende Fakten vor, werden die Medien, die Bevölkerung und
Politiker informiert. Auf diese Weise sind die Organisationen in der Lage,
die „Alarmglocke" zu läuten, indem sie Ratschläge über die Einschaltung der
Medien sowie Hintergrundinformationen den Organisationen der „Plattform"
zukommen lassen, um in anderen Ländern mehr Aufmerksamkeit für ihre
Probleme in den Medien zu finden. Praktische Beispiele: Pläne zum Bau
nuklearer Einrichtungen, Einsparungen der finanziellen Mittel für
erneuerbare Energie, Geheimhaltung von Informationen über die Einwirkungen
von Kernenergie, Beeinflussung von Wissenschaftlern durch die
Kernkraftlobby, Entscheidungen zur Aufrüstung älterer Kraftwerke, um deren
Betriebsdauer zu verlängern, Nuklearmaterial-Transporte usw. 

(Obenstehender Aufruf erhielten wir von Ulla Klötzer)

					* * * 

Eine/ viele Botschaft(en)

Widerständige „Botschaft Besorgter BürgerInnen" in Wien

In einem unbewachten Augenblick schien die Gelegenheit günstig - in den
frühen Morgenstunden des 24. April wurde von dem privaten Sicherheitsdienst
„Securitas" auf der Wiese neben dem Wiener Ballhausplatz der Container der
„Botschaft Besorgter Bürger" weggeräumt. Ein Salzburger Notar hatte die
Idee, den Container samt Inhalt (regierungskritische Materialien,
Infotisch, Sitzmöbel und anderes Nötige), aber auch einen Esel aus Holz als
Mahn-Mal zum „herrenlosen Gut" zu erklären. Der Bundespräsident, der gleich
nebenan residiert war auf Staatsbesuch in den baltischen Ländern und so
wagte es der „Burghauptmann" als Hausverwalter im Einverständnis mit dem
zuständigen Wirtschaftsminister Bartenstein den Räumungsbefehl zu erteilen.
Die Polizei beteiligte sich nur als Schutzschild gegen die nicht anwesenden
Regierungsgegner und -gegnerinnen.

Daß die Mahnwache seit dem 9. Februar 2000 gegen die
blau-schwarze-Regierung den im angrenzenden Bundeskanzleramt residierenden
Regierungsvertretern - an ihrer Spitze der koalierende Bundeskanzler - ein
Splitter in einem Auge voller Balken ist, drückte sich in vorangegangenen
Räumungsbefehlen und anderen bürokratischen Behinderungen aus. Vermutet
wird auch, daß die FPÖ diese Aktion forderte um davon abzulenken, daß am
13. April Rechtsradikale auf dem Heldenplatz gegen die sogenannte
„Wehrmachtsausstellung" demonstrierten. Diese zogen anschließend „Sieg
Heil!"-grölend und von der Polizei unbehelligt durch Kärntnerstraße, eine
zentrale Geschäftsstraße.

Stunden nach der Räumungsaktion mußten die „SECURITAS"-Arbeiter, nun von
300 Polizisten geschützt, eine eilig zusammengenagelte Hütte aus Brettern
entfernen und später noch ein Kinderspiel-Haus. Nach diesem
Katz-und-Maus-Spiel steht nun wieder - wie zu Beginn - ein einfaches Zelt
dort, auf dem Parkplatz, der der Stadt Wien gehört. Am 2. Mai trafen sich
dort streikende Studenten zu einem Streik-Camp gegen die Demontage der
Universitäten (siehe auch Seite 4-5!).

Während die „Donnerstags-Demonstrationen" in der letzten Zeit sinkende
Teilnehmerzahlen hatten, erreichte das „von oben" geschickte Räumkommando,
daß sich nun wieder mehr Regierungskritiker auf die Füße machen, die sich
gewaltfrei gegen die beispiellose Hetze gegen die Opposition wehren. (Siehe
auch den Buchtip auf Seite 7 und die dazu-gehörige homepage www.
wienerwandertage.at.)

Jene, die mit dieser Blitzaktion die Provokation „besorgte Bürger"
endgültig beseitigen wollten, haben sich damit „ein Eigentor geschossen"
und statt dessen den Widerstand verstärkt und ausgeweitet. Eine ähnliche
„Protest-Botschaft" - ein Wigwam von Atomkriegsgegnern - steht übrigens
seit Jahrzehnten unbehelligt auf dem Rasen vor dem Weißen Haus in Washington!

Matthias Reichl

Karikatur: Manfred Madlberger (nur in gedruckter Rundbrief)

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Österreich
 Rechtsaußen-Partei gegründet

Im „profil" vom 6.5. wird berichtet, dass in Österreich im April eine
„Nationaldemokratische Partei Österreichs (NPÖ)" - Organisationszentrum in
Hartberg (Steiermark) - gegründet wurde.  Programmatisch hat die NPÖ vieles
an dem Vorbild der NPD kopiert (u.a. Vorrang für Inländer und
Benachteiligung für Ausländer, Todesstrafe für schwerkriminelle
Wiederholungstäter...). Übrigens arbeiten etwa sechs Österreicher führend
bei der deutschen NPD mit. Der Gründer der NPÖ behauptet, dass die
Staatspolizei „nichts Anstößiges gefunden" habe. Vorerst will man auf
lokaler Ebene kandidieren. Die FPÖ dementiert alle eventuellen Verbindungen
zur NPÖ. Und die Grünen kritisieren den Innenminister, dass er diese
Parteigründung nicht verhindert habe obwohl dieser vor kurzem behauptete,
daß die Gründung einer Partei wie die NPD in Österreich rechtlich nicht
möglich sei.
M.R

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„Nachhaltige" Umweltpolitik?

UN-Gipfel über „nachhaltige Entwicklung (Rio +10)" in Johannesburg
(Südafrika) 

Der am 10.1.2002 in Washington vorgelegte Bericht des Worldwatch-Instituts
zieht eine ernüchternde Bilanz der zehn Jahre seit dem Umweltgipfel von Rio
1992. Alle globalen Umweltprobleme wie Klimawandel, Artensterben und
Wasserknappheit hätten sich zugespitzt. Der Ausstoß des Treibhausgases
Kohlendioxid sei weltweit um neun Prozent gestiegen, die CO2-Konzentration
in der Atmosphäre die höchste in 420 000 Jahren. Das vergangene Jahrzehnt
sei das wärmste seit Beginn der Temperaturmessungen gewesen. 

Zugleich bestehe bei den sozialen Trends trotz einiger Verbesserungen die
ungleiche Verteilung des Reichtums fort. „Ein Fünftel der Erdbevölkerung
lebt von einem Dollar oder weniger pro Tag, während die Reichen der Welt
unter Überschuss und Fettleibigkeit leiden", heißt es in dem Bericht. 1,1
Milliarden Menschen hätten keinen ausreichenden Zugang zu sauberem Wasser.
Erfolge bei der Bekämpfung gefährlicher Infektionskrankheiten würden durch
die sechsfach gestiegene Zahl der Aids-Todesfälle überschattet. 

Nach Auffassung von Worldwatch ist die Dringlichkeit dieser Probleme durch
die Terroranschläge vom 11. September noch gewachsen. Sie stellten eine
weniger sichtbare Gefahr dar als der Terrorismus, die aber langfristig
größer sei. „Es ist heute klarer als je zuvor, dass die Welt des 21.
Jahrhunderts weit davon entfernt ist, stabil zu sein", schreibt
Worldwatch-Präsident Christopher Flavin. Er zeichnet auch einen
Zusammenhang zwischen dem Terrorismus und der sozialen und ökologischen
Entwicklung. In vielen Gesellschaften würden grundlegende menschliche
Bedürfnisse wie Nahrung, Wasser, Gesundheitsbetreuung und Bildung nicht
erfüllt...
(Gekürzt aus: Frankfurter Rundschau, 11. 1. 02)

Im Vorfeld dieser Konferenz bemühen sich Regierungen wie auch
Wirtschaftslobbies und kooperationsbereite Nichtregierungsorganisationen
(NGOs) die Erfolge des „Rio-Prozesses" und der damit verbundenen „Lokalen
Agenda 21" herauszustellen. Auch wir wurden von Regierungsstellen zu einer
Veranstaltung in die Wiener Hofburg eingeladen, verzichteten aber auf diese
„Ehre" als wir hörten, dass dort ein öffentlichkeitswirksamer Protest nicht
möglich sei. Die Presseberichte zeigten, dass die Beiträge - auch jener von
John Naisbitt - leichtgewichtig waren.

Gegen die geschickte Vereinnahmungsstrategie führender Kreise im Rahmen des
„United Nations’ / International Chamber of Commerce’s Global Compact with
TNCs", auf die manche der großen NGOs hineingefallen sind, wenden sich
kritische Initiativen in einem offenen Brief, der demnächst veröffentlicht
wird. Er wurde durch das „Corporate Europe Observatory (CEO)" - e-mail:
ceo at xs4all.nl - initiiert.

Eine Reihe nationaler und internationaler umwelt- und
entwicklungspolitischer Netzwerke haben sich mit kritischen Stellungnahmen
darauf vorbereitet.

Die Kampagnen „Jubilee 2000" sowie „Jubilee South" und die mit ihr
verbundene Initiative „Ecological Debt" (unterstützt durch die Friends of
the Earth International/ FOE) werden ihre weitreichenden Forderungen erneut
zur Sprache bringen. Schon im Vorjahr bei der UN-Rassismus-Konferenz in
Durban hatten ähnliche Initiativen eine Wiedergutmachung gegenüber den
Nachkommen afrikanischer Sklaven gefordert, die in den vergangenen
Jahrhunderten nach Amerika verkauft worden waren. 

Die Forderungen von „Ecological Debt" reichen noch viel weiter. Sie stellen
die gesamten sozialen und ökologischen Schäden in Rechnung, die von
ausbeuterischen Teilen des „Nordens" im "Süden" angerichtet wurden. Zu
rechnen ist damit, dass nicht nur - wie in Durban - die Delegierten der USA
protestieren und schließlich die Konferenz verlassen, sondern dass sich
ihnen weitere aus den zahlungsunwilligen reichen Staaten anschliessen werden.

Kontaktpersonen in Johannesburg: Mae Ocampo, FOE General Coordination,
e-mail: campaign at foei.org und 
Aurora Donoso, Ecological Debt, e-mail: deuda@ accionecologica.org

Matthias Reichl

					* * * 

Russland: Parlament stimmt für Zivildienst-Gesetz 

MOSKAU, 17. April (epd). Russische Wehrpflichtige sollen bald einen zivilen
Ersatzdienst leisten können. Die Staatsduma stimmte in erster Lesung für
ein von der Regierung eingebrachtes Zivildienstgesetz. Der Zivildienst soll
demnach vier Jahre und damit doppelt so lange wie der Wehrdienst dauern.
Für Männer mit Hochschul-Abschluss soll eine Dienstdauer von nur zwei
Jahren gelten. Alle Wehrdienstverweigerer müssen ihre Gewissensgründe
glaubhaft machen.

					* * * 

Israel/ Palästina
Belagerung beendet?

Agenturen melden heute (6.5.2002), dass die wochenlange Belagerung der
Geburtskirche in Bethlehem durch israelisches Militär demnächst beendet
werden soll. Etwa vier der palästinensischen Kämpfer müssen ins Exil
(wahrscheinlich nach Italien) gehen und etwa 40 sollen vor ein
palästinensisches Gericht in Gaza gestellt werden. Obwohl in Ramallah
einige Kämpfer in ein Gefängnis gebracht und unter britische und
US-amerikanische Bewachung gestellt wurden, ist die „Freilassung" von
Präsident Jassir Arafat als Gegenleistung mehr ein moralischer als ein
praktischer Erfolg. Denn die Struktur seiner Verwaltung wurde von der
Besatzungsarmee großteils zerstört. Und die US-Regierung scheint die
Forderungen von Premier Scharon zu unterstützen, der fordert, dass sowohl
Arafat als auch seine Palästinenserbehörde als Verhandlungspartner
abgelehnt werden sollen. Offenbar hofft die israelische und die
US-Regierung, dass sich Palästinenser finden, die sich als Marionetten
eignen. (Siehe Seite 12)
M.R.
					* * * 


Wir wollen den internationalen Raum demokratisieren

Sind die Menschen, die in Seattle und Genua protestierten ...
Globalisierungsgegner?

Nein. Ich hasse dieses Wort; es ist eine reine Medienerfindung. Wir sind
nicht gegen die Globalisierung, sondern wir sind für Soldidarität und für
Demokratie, und wir sind sehr international orientiert. Wohl aber sind wir
gegen die neoliberale Globalisierung, wie sie von den transnationalen
Konzernen und den Finanzmärkter zu ihrem ausschließlich eigenen Nutzen
betrieben wird.
...
...Offenbar gibt es tausende von Menschen, die jetzt die Stunde gekommen
sehen, sich international zu engagieren. Sie verstehen, dass wir nicht
einfach zu Hause sitzen und hoffen können, dass die politischen Parteien
irgendetwas an den weltweiten großen Ungerechtigkeiten ändern werden. Die
Menschen haben heute mehr Gespür für das Unrecht, für die Folgen von Armut
und Verschuldung, und sie sehen dass die Globalisierung nur sehr Wenigen
nützt. In Frankreich hat dies eine enorme Anzahl von Menschen allen Alters
auf die Beine gebracht. In Deutschland sind es bisher vor allem junge
Leute, aber ich glaube, auch bei Ihnen wird sich die Bewegung Generationen
übergreifend erweitern.
...
In meinem neuesten Buch „Der Lugano-Report entfalte ich das Szenario eines
Ernsfalls. Das Buch ist ein fiktiver Expertenbericht zur Anfrage, wie der
neoliberale Kapitalismus im 21. Jahrhundert bewahrt werden könne. Die
Antwort ist. Mit acht Milliarden Menschen ist das nicht zu machen. Wenn es
so weitergeht wie bisher, wird es sogar für die Reichen sehr ungemütlich,
wie wir jetzt gerade an den terroristischen Anschlägen sehen können. Wenn
man aber weder die Technik noch das Konsummodell noch die Reichtums- und
Gewinnverteilung ändern will, dann muss man eben sehen, dass man die Hälfte
der Weltbevölkerung los wird. Andernfalls wird das System nicht mehr
funktionieren.
Wenn wir diese „Lugano-Lösung" nicht wollen, müssen wir etwas tun. Ich
glaube in der Tat, dass es leicht auf die Lugano-Lösung hinauslaufen kann.
...
Krieg bedeutet immer den Verlust von Freiheit in umfassenden Sinn. Schon
vor dem 11. September habe ich mir wegen der Gewaltfrage große Sorgen
gemacht. Ich weiß, dass meine Position umstritten ist. Aber die gewaltsamen
Aktionen von einigen globalisierungskritischen Gruppen sind absolut
kontraproduktiv, sie sind strategisch falsch, und sie sind aus
demokratischer Sicht zu verabscheuen, weil sie all die bereits geleistete
harte Arbeit zunichte machen. Sie verhindern die Verbreitung unserer Ziele,
sie halten viele Leute davon ab, zu den Demonstrationen zu kommen, weil sie
Angst haben. Und wir können es uns nicht leisten, unsere Bewegung nur auf
jungen Leuten, und vor allem jungen Männern aufzubauen. Wir brauchen eine
breite und offene Bewegung. Und ich lehne es ab, diesen gewaltbereiten
Gruppen gegenüber tolerant zu sein. Sie geben unseren Gegnern reichlich
Handhabe, sie werden beständig von der Polizei unterwandert. Der große
chinesische General Sun Tzu hat vor 2500 Jahren gesagt: ‘Tue nicht, was du
am liebsten tun willst, sondern tue, was dein Gegner am meisten an dir
fürchtet.’ Gewalt ist genau das Verhalten, das unserem Gegner entgegen
kommt; sie ist aus taktischer und strategischer Sicht unendlich dumm.

Wir müssen begreifen, dass uns ein langer Kampf bevorsteht, der Mut und
Durchhaltevermögen erfordert und verlangt, dass wir einig und gewaltlos
bleiben. Was wir wollen, wird sich nicht schon morgen einstellen.

Susan George

(Auszüge aus einem Interview das Dawid Danilo Bartelt mit Susan George
führte. Erschienen im „INKOTA-Brief" zum Nord-Süd-Konflikt und zum
konziliaren Bewegung. Heft 118 - Dezember 2001 )

(Karikatur nur in gedruckter Rundbrief) Aus "Publik-forum" 2002 Nr.8

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Maria Reichl
Begegnungszentrum für aktive Gewaltlosigkeit
Wolfgangerstr. 26
A-4820 Bad Ischl






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